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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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schmeißen sie ihr Geld in den Ofen, ins Feuer. Manche unterhalten sich einfach mit ihrem Geld oder lesen ihm interessante Bücher vor oder singen ihm schöne Lieder. Ich dagegen schenke dem Geld keine besondere Aufmerksamkeit und trage es einfach im Geldbeutel oder der Brieftasche herum und gebe es je nach Bedarf aus. Schum baja!

     
    »Schum baja«: Gar kein Problem! (Hebräisch)
     
    In einer Straßenbahn saßen zwei Männer und diskutierten wie folgt. Der eine sagte: »Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Echte Beweise für ein Leben nach dem Tod gibt es nicht. Maßgebliche Zeugenaussagen dazu kennen wir nicht. In den Religionen gibt es dazu entweder nur sehr unglaubwürdige Äußerungen wie im Islam oder sehr nebulöse wie im Christentum oder überhaupt keine, wie in der Bibel, oder es heißt ganz direkt, dass es nicht existiert, wie im Buddhismus. Fälle von Hellseherei, Weissagung, verschie denen Wundern und sogar Geistern haben mit einem Leben nach dem Tod nichts zu tun und sind absolut kein Beweis für dessen Existenz. Geschichten der Art, dass ein Mann von einem Löwen geträumt habe und am nächsten Tag von einem aus dem Zoo entlaufenen Löwen getötet worden sei, interessieren mich nicht im Geringsten. Mich interessiert nur die Frage: Gibt es ein Leben nach dem Tod oder nicht? Was meinen Sie dazu?«
    Der zweite Sprecher sagte: »Meine Antwort lautet: Auf Ihre Frage werden Sie niemals eine Antwort bekommen, und wenn Sie doch eines Tages eine erhalten, dann glauben Sie sie nicht. Nur Sie selbst können diese Frage beantworten. Wenn Sie mit ja antworten, dann ja, wenn Sie mit nein antworten, dann nein. Nur müssen Sie vollkommen überzeugt antworten, ohne den geringsten Zweifel oder, genauer gesagt, mit absolutem Glauben an Ihre Antwort.«
    Der erste Sprecher sagte: »Ich würde mir gern selbst die Antwort geben. Aber man muss an seine Antwort glauben. Und um an seine Antwort glauben zu können, muss man von der Wahrhaftigkeit seiner Antwort überzeugt sein. Aber wo soll ich diese Überzeugung hernehmen?«
    Der zweite Sprecher sagte: »Die Überzeugung oder, genauer, den Glauben kann man nicht erwerben, den kann man nur aus sich selbst entwickeln.«
    Der erste Sprecher sagte: »Wie kann ich den Glauben an meine Antwort bei mir selbst entwickeln, wenn ich nicht weiß, was ich antworten soll – ja oder nein?«
    Der zweite Sprecher sagte: »Wählen Sie das für sich, was Ihnen besser gefällt.« »Jetzt kommt unsere Haltestelle«, sagte der erste Sprecher, und beide standen von ihren Plätzen auf, um zur Tür zu gehen.
    »Verzeihung«, wandte sich ein außergewöhnlich großer Mann in einer Militäruniform an sie. »Verzeihen Sie, ich habe Ihr Gespräch gehört und mich gefragt: Wie können zwei noch junge Männer ernsthaft darüber sprechen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht?«
     
    <1940>
     
    »Ja«, sagte Koslow und schüttelte kurz sein Bein aus, »einen Riesenschreck hat sie bekommen. Und was für einen! Ho-ho! Aber sie hat kapiert, dass sie auf gar keinen Fall wegrennen darf. Das immerhin hat sie kapiert. Aber da haben sich die Rüpel schon vor ihr aufgepflanzt und angefangen, ihr laut ins Ohr zu pfeifen. Die wollten sie mit ihrer Pfeiferei taub machen. Aber das hat nichts gebracht, denn just auf dem Ohr war sie ja schon taub. Da hat ihr einer von denen mit einem Stock gegen das Bein gehauen. Aber auch das hat nichts gebracht, denn just dieses Bein hat man ihr vor fünf Jahren amputiert und durch eine Prothese ersetzt. Die Rüpel haben sogar von ihr abgelassen, vollkommen verblüfft darüber, dass sie seelenruhig weiterging.«
    »Toll!«, sagte Tetschorin. »Großartig! Aber was wäre gewesen, wenn die Rüpel sie von der anderen Seite angegriffen hätten? Sie hat Schwein gehabt.«
    »Ja«, sagte Koslow, »aber normalerweise hat sie kein Glück. Vor etwa zwei Wochen ist sie vergewaltigt worden, und letzten Sommer hat man sie einfach so, zum Spaß, mit einer Reitpeitsche verdroschen. Die arme Jelisaweta Platonowna hat sich an derlei Geschichten geradezu gewöhnt.«
    »Die Ärmste«, sagte Tetschorin. »Ich hätte nichts dagegen, sie mal kennenzulernen.«
     
    <1940>
     
    Ich habe mir die Ohren nicht zugehalten. Alle haben das getan, nur ich nicht, und darum war ich der Einzige, der alles gehört hat. Ich habe mir auch nicht mit einem Lappen die Augen bedeckt, so wie es alle gemacht haben. Und darum habe ich alles gesehen. Ja, ich allein habe alles gesehen und gehört. Aber leider habe

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