Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Das mag ich lieber.« »Na also«, sagte die junge Dame. »Und jetzt gehen Sie. Ich kaufe es für Sie, und abrechnen tun wir nachher.«
Und sie gab mir sogar einen kleinen Schubs am Ellenbogen. Ich verließ den Brotladen und blieb gleich bei der Tür stehen. Die Frühlingssonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich zünde die Pfeife an. Was für eine nette junge Dame! Eine Seltenheit heutzutage! Ich stehe da, blinzle in der Sonne, rauche Pfeife und denke an die nette junge Dame. Sie hat nämlich hellbraune Augen. Einfach entzückend, wie hübsch sie ist! »Sie rauchen Pfeife?«, höre ich eine Stimme neben mir. Die nette junge Dame hält mir das Brot hin. »Oh, ich bin Ihnen unendlich dankbar«, sage ich und nehme das Brot. »Sie rauchen Pfeife! Das gefällt mir sehr«, sagt die nette junge Dame. Und zwischen uns kommt es zu folgender Unterhaltung: SIE Sie gehen also immer selbst Brot kaufen? ICH Nicht nur Brot. Ich kaufe mir alles selbst. SIE Wo essen Sie denn zu Mittag? ICH Gewöhnlich koche ich mir mein Mittagessen selbst. Und
manchmal esse ich in einer Bierstube. SIE Sie mögen Bier? ICH Wodka mag ich lieber. SIE Ich mag auch Wodka. ICH Sie mögen Wodka? Wie schön! Mit Ihnen würde ich gern
mal Wodka trinken. SIE Ich würde auch gern mit Ihnen Wodka trinken. ICH Verzeihung, darf ich Sie etwas fragen? SIE (stark errötend) Sicher, fragen Sie nur. ICH Gut, ich frage Sie. Glauben Sie an Gott? SIE (erstaunt) An Gott? Ja, natürlich. ICH Und was würden Sie sagen, wenn wir jetzt Wodka kaufen
und zu mir gehen? Ich wohne hier gleich in der Nähe. SIE (kess) Warum denn nicht? Einverstanden. ICH Also gehen wir. Wir gehen in ein Geschäft, und ich kaufe einen halben Liter Wodka. Mehr Geld habe ich nicht, nur noch ein paar Münzen. Wir unterhalten uns die ganze Zeit über alles Mögliche, und auf einmal fällt mir wieder ein, dass in meinem Zimmer auf dem Boden eine tote alte Frau liegt. Ich blicke mich nach meiner neuen Bekannten um: Sie steht am Ladentisch und schaut sich Marmeladengläser an. Ich schleiche mich vorsichtig zur Tür und verlasse das Geschäft. Direkt gegenüber dem Geschäft hält eine Straßenbahn. Mit einem Satz bin ich in der Straßenbahn, ohne auch nur nach der Nummer geschaut zu haben. In der Michailowskaja steige ich aus und gehe zu Sakerdon Michailowitsch. Unterm Arm habe ich Wodka, Bockwürste und Brot. Sakerdon Michailowitsch machte mir selbst die Tür auf. Er hatte einen Schlafrock über den nackten Körper geworfen, trug Russenstiefel mit abgeschnittenen Schäften und eine Pelzmütze mit Ohrenklappen, die aber hochgestülpt und oben auf dem Kopf zusammengeknüpft waren. »Das freut mich aber«, sagte Sakerdon Michailowitsch, als er mich erblickte. »Halte ich Sie auch nicht von der Arbeit ab?«, fragte ich. »I wo«, sagte Sakerdon Michailowitsch. »Ich habe gar nichts gemacht, bloß auf dem Fußboden gesessen.« »Schauen Sie«, sagte ich zu Sakerdon Michailowitsch. »Ich hab Wodka und einen kleinen Imbiss mitgebracht. Wenn Sie nichts dagegen haben, trinken wir einen zusammen.« »Sehr gut«, sagte Sakerdon Michailowitsch. »Immer rein mit Ihnen.« Wir gingen durch in sein Zimmer. Ich öffnete die Wodkaflasche, Sakerdon Michailowitsch stellte zwei Gläschen und einen Teller mit gekochtem Fleisch auf den Tisch. »Ich hab Bockwürste dabei«, sagte ich. »Essen wir sie kalt, oder machen wir sie uns heiß?« »Wir machen sie heiß«, sagte Sakerdon Michailowitsch, »und solange sie heiß werden, trinken wir Wodka und essen von dem gekochten Fleisch dazu. Es ist aus einer Suppe, ausgezeichnetes Fleisch!« Sakerdon Michailowitsch stellte einen Topf auf den Petroleumkocher, und wir setzten uns, um Wodka zu trinken.
»Wodka trinken ist gut für die Gesundheit«, sagte Sakerdon Michailowitsch, während er die Gläschen füllte. »Metschnikow hat geschrieben, Wodka ist gesünder als Brot, und Brot ist bloß Stroh, das in unserem Magen fault.« »Prost!«, sagte ich und stieß mit Sakerdon Michailowitsch an. Wir kippten den Wodka und aßen von dem kalten Fleisch. »Lecker!«, sagte Sakerdon Michailowitsch. Doch in dem Moment gab es im Zimmer einen durchdringenden Knall. »Was war das?«, fragte ich. Wir saßen schweigend da und lauschten. Plötzlich noch ein Knall. Sakerdon Michailowitsch sprang auf, rannte zum Fenster und riss die Gardine herunter. »Was machen Sie da?«, rief ich. Doch Sakerdon Michailowitsch stürzte, ohne mir eine Antwort zu geben, zum Petroleumkocher, packte mit der Gardine den
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