Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
zweihundert eingesteckt hat. Es ist seine Entscheidung, ob er Ihnen das Geld gibt oder nicht; die bequemste und angenehmste Art der Verweigerung ist die unwahre Behauptung, kein Geld zu haben. Sie haben bereits gesehen, dass der Mann Geld hat, und damit haben Sie ihm die Möglichkeit genommen, Ihnen Ihre Bitte ganz einfach und liebenswürdig abzuschlagen. Sie haben ihm das Recht zu wählen genommen, und das ist eine Sauerei. Das ist schlechter Stil und ziemlich taktlos. Und jemanden zu fragen: ›Glauben Sie an Gott?‹, ist ebenfalls schlechter Stil und taktlos.« »Na ja«, sagte ich, »was hat das eine mit dem andern zu tun.« »Ich vergleiche auch gar nicht«, sagte Sakerdon Michailowitsch. »Na gut«, sagte ich, »lassen wir das. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen überhaupt eine so unanständige und taktlose Frage gestellt habe.« »Geht in Ordnung«, sagte Sakerdon Michailowitsch. »Ich habe mich ja einfach geweigert, Ihnen zu antworten.« »Ich hätte auch nicht geantwortet«, sagte ich, »allerdings aus einem anderen Grund.« »Und der wäre?«, fragte Sakerdon Michailowitsch matt. »Wissen Sie«, sagte ich, »meiner Meinung nach gibt es keine gläubigen oder ungläubigen Menschen. Es gibt nur solche, die glauben wollen, und solche, die nicht glauben wollen.« »Das heißt, wer nicht glauben will, der glaubt bereits an etwas?«, sagte Sakerdon Michailowitsch. »Und wer glauben will, der glaubt schon von vornherein an nichts?« »Vielleicht ist es eben so«, sagte ich. »Ich weiß nicht.«
»Und an was glaubt oder glaubt man nicht? An Gott?«, fragte Sakerdon Michailowitsch. »Nein«, sagte ich, »an die Unsterblichkeit.«
»Warum haben Sie mich dann gefragt, ob ich an Gott glaube?« »Ach, einfach deswegen, weil es ziemlich blöd klingt, wenn ich Sie frage, ob Sie an die Unsterblichkeit glauben«, sagte ich zu Sakerdon Michailowitsch und stand auf.
»Was denn, Sie wollen gehen?«, fragte mich Sakerdon Michailowitsch.
»Ja«, sagte ich, »ich muss los.«
»Und was ist mit dem Wodka?«, fragte Sakerdon Michailowitsch. »Es ist doch nur noch ein Gläschen für jeden.« »Na gut, trinken wir ihn aus«, sagte ich. Wir tranken den Wodka aus und aßen dazu, was von dem gekochten Fleisch noch übrig war. »Jetzt muss ich aber gehen«, sagte ich. »Auf Wiedersehen«, sagte Sakerdon Michailowitsch und begleitete mich durch die Küche ins Treppenhaus. »Danke für Speis und Trank.« »Ich hab zu danken«, sagte ich. »Auf Wiedersehen.« Und ich ging. Allein zurückgeblieben, räumte Sakerdon Michailowitsch den Tisch ab, warf die leere Wodkaflasche auf den Schrank, setzte wieder seine Pelzmütze mit den Ohrenklappen auf und ließ sich unterm Fenster auf dem Fußboden nieder. Die Arme verschränkte Sakerdon Michailowitsch auf dem Rücken, und so waren sie nicht mehr zu sehen. Unter dem hochgerutschten Schlafrock ragten seine nackten, knochigen Beine hervor, die in den Russenstiefeln mit abgeschnittenen Schäften steckten.
Ich lief den Newski entlang, in meine Gedanken vertieft. Ich muss auf der Stelle zum Hausverwalter gehen und ihm alles erzählen. Wenn ich die Alte erst los bin, werde ich jeden Tag von früh bis spät vor dem Brotladen stehen, bis ich die nette junge Dame wiedersehe. Ich schulde ihr doch noch ganze 48 Kopeken für das Brot. Ein ausgezeichneter Vorwand, nachihr zu suchen. Der Wodka wirkte noch immer, und es schien so, als würde sich noch alles gut und unkompliziert fügen. Auf der Fontanka ging ich an eine Bude und genehmigte mir für den Rest Kleingeld einen großen Krug Brotkwas. Der Kwas war schlecht und sauer, und ich ging mit einem ekligen Geschmack im Mund weiter. An der Ecke Litejny Prospekt wurde ich von irgendeinem torkelnden Betrunkenen angerempelt. Nur gut, dass ich keinen Revolver besitze; ich hätte ihn auf der Stelle abgeknallt. Ich muss wohl mit einem vor Wut verzerrten Gesichtsausdruck bis nach Hause gegangen sein. Jedenfalls drehten sich alle, die mir entgegenkamen, nach mir um. Ich betrat das Kontor der Hausverwaltung. Auf der Tischkante saß eine untersetzte, schmuddelige, stupsnasige, schielende und flachsblonde Schnepfe, guckte in einen Handspiegel und malte sich die Lippen an.
»Wo ist denn der Hausverwalter?«, fragte ich.
Die Schnepfe sagte nichts und schminkte sich weiter die Lippen.
»Wo ist der Hausverwalter?«, wiederholte ich mit schneidender Stimme.
»Der ist morgen da, heute nicht«, antwortete die schmuddelige, stupsnasige, schielende, flachsblonde Schnepfe. Ich
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