Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Wohnung, er weiß, er bräuchte bloß mit dem Finger zu schnipsen und die Wohnung wäre sein, aber er tut es nicht, widerspruchslos zieht er aus der Wohnung aus und haust in einer Bretterbude am Stadtrand. Er könnte diese Bretterbude in ein hübsches Ziegelhaus verwandeln, aber er tut es nicht, er haust weiter in der Bretterbude und stirbt schließlich, ohne in seinem Leben auch nur ein einziges Wunder vollbracht zu haben.
Ich sitze da und reibe mir die Hände vor Freude. Sakerdon Michailowitsch wird platzen vor Neid. Er meint, ich sei schon nicht mehr fähig, einen genialen Text zu schreiben. Nichts wie an die Arbeit! Fort mit Schlaf und Faulheit. Ich werde achtzehn Stunden am Stück schreiben!
Ich zittere vor Ungeduld am ganzen Körper. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich tun soll. Ich müsste Feder und Papier nehmen, aber ich greife nach verschiedenen Gegenständen, nur nicht nach denen, die ich brauche. Ich laufe im Zimmer umher: vom Fenster zum Tisch, vom Tisch zum Öfchen, vom Öfchen wieder zum Tisch, dann zum Sofa und wieder zum Fenster. Die Flamme, die in meiner Brust lodert, raubt mir schier den Atem. Jetzt ist es erst fünf. Vor mir noch der ganze Tag, der ganze Abend, die ganze Nacht … Ich stehe mitten im Zimmer. Worüber denke ich eigentlich nach? Es ist doch schon zwanzig nach fünf. Ich muss schreiben. Ich schiebe den Tisch ans Fenster und setze mich an den Tisch. Vor mir kariertes Papier, in der Hand die Feder. Noch klopft mein Herz zu sehr, und die Hand zittert. Ich warte, bis ich mich ein wenig beruhigt habe. Ich lege die Feder hin und stopfe die Pfeife. Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht, ich kneife die Augen zusammen und zünde die Pfeife an. Da fliegt eine Krähe am Fenster vorbei. Ich schaue aus dem Fenster auf die Straße und sehe einen Mann mit Holzbein den Bürgersteig entlanggehen. Sein Bein und der Stock klackern laut.
»So«, sage ich zu mir und schaue weiter aus dem Fenster.
Die Sonne verschwindet hinterm Schornstein des Hauses gegenüber. Der Schatten des Schornsteins huscht übers Dach, fliegt über die Straße und legt sich auf mein Gesicht. Ich muss diesen Schatten unbedingt nutzen und einige Worte über den Wundertäter schreiben. Ich ergreife die Feder und schreibe:
»Der Wundertäter war von hohem Wuchs.« Mehr kann ich nicht schreiben. Ich bleibe so lange sitzen,bis ich Hunger verspüre. Da stehe ich auf und gehe zu dem Schränkchen, in dem ich meine Vorräte aufbewahre, stöbere darin herum, finde aber nichts. Nichts außer einem Stück Zucker.
Jemand klopft an die Tür.
»Wer ist da?«
Niemand antwortet. Ich öffne die Tür und erblicke vor mir die Alte, die am Morgen mit der Uhr im Hof gestanden hat. Ich bin so verblüfft, dass ich keinen Ton hervorbringe.
»Da bin ich also«, sagt die Alte und kommt in mein Zimmer. Ich stehe an der Tür und weiß nicht, was ich tun soll: die Alte hinauswerfen oder ihr im Gegenteil einen Platz anbieten? Aber die Alte geht unaufgefordert zu meinem Sessel am Fenster und setzt sich hinein. »Mach die Tür zu und schließ ab«, sagt die Alte zu mir.
Ich mache die Tür zu und schließe ab.
»Auf die Knie«, sagt die Alte.
Ich knie nieder.
Doch da beginne ich die ganze Absurdität meiner Lage zu begreifen. Wozu knie ich vor einer dahergelaufenen Alten? Und warum befindet sich diese Alte in meinem Zimmer und sitzt in meinem Lieblingssessel? Warum habe ich sie nicht hinausgeworfen?
»Hören Sie mal«, sage ich, »woher nehmen Sie das Recht, sich in meinem Zimmer breitzumachen und mich auch noch rumzukommandieren? Ich habe nicht die geringste Lust, auf den Knien herumzurutschen.«
»Musst du auch nicht«, sagt die Alte. »Jetzt leg dich auf den Bauch, mit dem Gesicht auf dem Fußboden.«
Sogleich befolge ich die Anordnung …
Vor mir sehe ich akkurat gezeichnete Vierecke. Schmerzen in Schulter und rechter Hüfte zwingen mich dazu, meine Stellung zu verändern. Ich habe mit dem Gesicht nach unten gelegen, und nun erhebe ich mich unter großer Anstrengung auf die Knie. Alle meine Glieder sind taub und lassen sich schwer beugen. Ich blicke mich um und sehe mich mitten inmeinem Zimmer auf dem Fußboden knien. Allmählich stellen sich Bewusstsein und Erinnerung wieder ein. Noch einmal betrachte ich das Zimmer und sehe, dass im Sessel am Fenster anscheinend jemand sitzt. Im Zimmer ist es nicht sehr dunkel, denn es ist wohl eine Weiße Nacht. Ich sehe genau hin. Oh Gott! Ist es möglich, dass diese Alte immer noch in meinem
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