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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniil Charms
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knochige Beine in schmutzigen weißen Wollstrümpfen hervor. »Du Biest!«, rief ich, lief zu der Alten hin und trat ihr mit dem Stiefel gegen das Kinn.
    Das Gebiss segelte in die Ecke. Ich hatte große Lust, die Alte noch einmal zu treten, aber ich befürchtete, es könnten Spuren am Körper zurückbleiben, aus denen man womöglich folgern würde, ich hätte die Alte getötet.
    Ich wandte mich von ihr ab, setzte mich auf die Couch und zündete meine Pfeife an. So vergingen etwa zwanzig Minuten. Nun war mir klar geworden, dass man die Angelegenheit sowieso der Kriminalpolizei übergeben musste und irgendein Trottel von Untersuchungsrichter mich des Mordes beschuldigen würde. Die Lage war ernst, und dann auch noch dieser Tritt mit dem Stiefel.
    Ich ging wieder zu der Alten, bückte mich und betrachtete ihr Gesicht. Am Kinn war ein kleiner dunkler Bluterguss. Nein, da konnte man mir nichts anhängen. Wer weiß? Vielleicht hatte sich die Alte irgendwo gestoßen, als sie noch lebte. Ich beruhigte mich ein wenig und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei ich Pfeife rauchte und meine Lage überdachte.
    Ich gehe auf und ab und merke auf einmal, dass ich Hunger bekomme, der immer stärker wird. Vor lauter Hunger fange ich sogar an zu zittern. Noch einmal stöbere ich in dem Schränkchen, in dem ich meine Vorräte aufbewahre, finde aber nichts außer dem Stück Zucker. Ich ziehe die Brieftasche hervor und zähle mein Geld. Elf Rubel. Also kann ich mir Schinkenwurst und Brot kaufen, und es bleibt noch etwas übrig für Tabak.
    Ich richte meine in der Nacht verrutschte Krawatte, nehme meine Uhr, ziehe die Jacke an, gehe in den Flur, schließe sorgfältig die Tür zu meinem Zimmer ab, stecke den Schlüssel in die Tasche und gehe auf die Straße. Zuerst muss ich etwas essen, dann wird der Kopf klarer und dann werde ich die Sache mit diesem Aas schon deichseln.
    Unterwegs zum Geschäft kommt mir die Idee, ob ich nicht bei Sakerdon Michailowitsch vorbeigehen und ihm alles erzählen sollte, vielleicht würden wir gemeinsam einen Ausweg finden. Doch ich lasse diesen Gedanken gleich wieder fallen, denn manche Dinge muss man allein und ohne Zeugen tun. Im Geschäft gab es keine Schinkenwurst, und ich kaufte mir ein halbes Kilo Bockwürste. Tabak gab es auch keinen. Von dort ging ich zum Brotladen.
    Im Brotladen war es sehr voll, und an der Kasse stand eine lange Schlange. Mein Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich, aber ich stellte mich dennoch an. Ich kam nur sehr langsam in der Schlange voran, und dann ging es überhaupt nicht weiter, weil es an der Kasse irgendeinen Streit gab. Ich tat so, als bemerkte ich nichts, und starrte den Rücken der hübschen jungen Dame an, die in der Schlange vor mir stand. Die junge Dame war offenbar ziemlich neugierig: Sie reckte den Hals mal nach rechts, mal nach links und stellte sich ständig auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, was an der Kasse vor sich ging. Schließlich drehte sie sich zu mir um und fragte: »Wissen Sie vielleicht, was da los ist?« »Nein, tut mir leid«, sagte ich so trocken wie möglich. Die junge Dame zappelte noch ein Weilchen so herum, und schließlich wandte sie sich erneut an mich: »Könnten Sie nicht mal hingehen und rausfinden, was da los ist?« »Tut mir leid, das interessiert mich nicht im Geringsten«, sagte ich noch trockener. »Wie, das interessiert Sie nicht?«, rief die junge Dame aus. »Aber Sie sitzen doch selbst deswegen in der Schlange fest!« Ich antwortete nicht und deutete lediglich eine Verbeugung an. Die junge Dame sah mich aufmerksam an. »Das ist natürlich nichts für einen Mann, nach Brot anzustehen«, sagte sie. »Sie tun mir leid, dass Sie hier stehen müssen. Sie sind wohl Junggeselle?« »Ganz recht«, antwortete ich, etwas verdattert, aber automatisch weiterhin in ziemlich trockenem Ton und mit einer leichten Verbeugung. Die junge Dame betrachtete mich noch einmal von Kopf bis Fuß und sagte plötzlich, wobei sie mit dem Finger meinen Ärmel berührte: »Wissen Sie was? Ich kaufe für Sie, was Sie brauchen, und Sie warten draußen auf mich.« Ich war vollkommen verwirrt. »Ich danke Ihnen«, sagte ich. »Das ist furchtbar nett von Ihnen, ich könnte das aber wirklich auch selbst.« »Nein, nein«, sagte die junge Dame, »lassen Sie nur, gehen Sie einfach raus. Was wollten Sie denn kaufen?« »Na ja, eigentlich«, sagte ich, »wollte ich ein halbes Kilo dunkles Brot kaufen, aber unbedingt Kastenbrot, das billigere.

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