Trips & Träume
bisschen Amon Düül II oder Kraftwerk hören, das hätte mir mehr Spaß gemacht. Doch dafür konnte ich Mark nicht begeistern. Für ihn war Fußball die angemessene Beschäftigung, um die Zeit bis zu dem Ereignis totzuschlagen, auf das wir seit Wochen hinfieberten und das heute Abend endlich anstand.
Er war fest entschlossen. »Ich geh da jetzt rein.«
»Wir werden gelyncht und anschließend noch geteert und gefedert«, warnte ich.
Mark schüttelte den Kopf. »Du übertreibst wie immer.«
Das Eckfritz war beliebt wegen seiner regionalen Küche und den volksnahen Preisen. Der Besitzer hieß, wie sollte es anders sein, Fritz und hatte sie alle um sich geschart, die Gartenzaunnazis und reaktionären Parolenschwinger. Bei ihm tranken sie ihr Bier, spielten Skat und verputzten »Russisch Ei«, Kartoffelsalat mit hart gekochten Eiern und Mayonnaise, ein in unserer Gegend beliebtes Schnellgericht.
Fritz war Anfang sechzig und trotz der Trommel, die er vor sich hertrug, noch gut in Form. Es hieß, er kraule jeden Morgen seine fünfzig Bahnen. Er stand einer freien Wählerliste vor, die er gegründet hatte und die es bei der nächsten Kommunalwahl in den Stadtrat schaffen wollte, um dann die Einsetzung einer Bürgerwehr durchzudrücken. Angeblich sei die Polizei notorisch unterbesetzt und könne deshalb nicht energisch genug gegen Verbrecher und ähnliches Gesindel vorgehen. So hatte er sich zumindest in einem Interview mit dem Lokalblatt geäußert.
Auf die Frage, wen er mit »Gesindel« meine, hatte er geantwortet: »All die, die die FDGO, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, gefährden.« Mir schwante, an wen er dabei dachte, nämlich all jene, die nicht in seinen beschränkten Kleinstadthorizont passten: Langhaarige, Kiffer und Freaks, die ins Lager oder nach drüben gehörten.
»Komm endlich«, drängelte Mark.
Ich folgte ihm, wenn auch widerwillig.
Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen.
Als wir eintraten, empfing uns ein Geräuschpegel wie im Stadion. Der Fernseher dröhnte. Der Laden war proppenvoll, alle verfügbaren Stühle besetzt. Selbst im Gang zwischen Theke und Schankraum standen die Leute. Die Luft stank nach Männerschweiß, Zigaretten und Bier.
Niemand nahm Notiz von uns.
Die Glotze hing hoch über den Köpfen an der Decke in einem extra dafür konstruierten Gestell. Der 1. FC führte mit 1:0. Jetzt zeigten sie Franz Beckenbauer in Nahaufnahme. Der zog ab, und der Ball kullerte ins Netz.
»1:1! Die Bayern holen auf. Zu sehr haben die Kölner das Spiel schleifen lassen«, kommentierte der Sprecher, dessen Stimme sich fast überschlug.
Jubel im Neckarstadion. Entsetzen im Eckfritz.
Einige riefen wild durcheinander und fluchten. Andere waren von den Sitzen aufgesprungen. Am Tresen fiel ein Barhocker zu Boden. In der Stammtischecke, an der sie dicht gedrängt saßen, klirrte es verdächtig.
Ich sah mich um. Männer von vierzig an aufwärts, auch etliche Rentner, die fast immer hier hockten, als ob sie kein Zuhause mehr hätten. Eine ältere Bedienung wuselte mit einem Handbesen zwischen den Tischen, räumte Scherben weg und nahm nebenbei Bestellungen auf.
An der Theke, direkt vor uns, stand ein Trupp mürrisch dreinblickender Kerle im Blaumann.
»Vier Bier, aber dalli«, bellte der größte von ihnen. Kurzes Hemd, muskulöse, dichtbehaarte Unterarme. Seine Kumpels konnten sich kaum noch gerade halten. Das waren wohl die städtischen Arbeiter, die am Morgen vor der Tür den Bürgersteig aufgerissen, ein Loch gebuddelt und Rohre verlegt hatten. An einem Samstag zu arbeiten, war ärgerlich genug, nun geriet auch noch ihr geliebter 1. FC in Bedrängnis. Das musste runtergespült werden.
Der Blaumann mit den Muckis drehte sich in unsere Richtung und rief, dass es die gesamte Kneipe hören konnte: »Was wollen denn diese Gammler hier?« Marks Stirn legte sich in Falten. Blaumann registrierte es genau.
»Ja, dich und deinen Freund habe ich gemeint. Arbeitsscheues Pack«, sagte er, setzte das Bier an die Lippen und grinste fies.
Das Grummeln in meinem Bauch wurde stärker. Mark schaute mich an. Ich deutete mit dem Kopf zur Tür.
Besser, wir hauen sofort ab, dachte ich. Obwohl wir keine fünf Minuten in dem Laden waren und noch nicht einmal etwas zu trinken bestellt hatten.
Okay, der Kerl war besoffen, das war offensichtlich. Da wäre eigentlich Nachsicht angebracht, aber Mark konnte seine Klappe nicht halten.
»Nach der Revolution wird man Typen wie dich als Wachsfigur zur Schau
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