Trips & Träume
sich ein Tuch aus schwarzer Seide gebunden. Ihre Füße steckten in chinesischen Stoffslippern. Die mit Henna gefärbten Haare waren sorgfältig hochgesteckt und wurden von einer Lederspange gehalten.
Das hatte irgendwie Stil. Ja, genau, den hatte es. Karen verband das Aussehen von Uschi Obermaier mit dem Klamottenfimmel von Janis Joplin. Sie war ein Hippie-Mädchen wie aus dem Bilderbuch.
Andi fingerte eine Packung filterlose Gauloises aus dem Inneren seines Jacketts. Dieses Teil, mit Lederflicken an den Ellbogen, war seine Standardjacke, dazu ein zerknittertes Karohemd, ausgebeulte Cordhosen und hohe Turnschuhe. So lief er immer herum, egal bei welcher Gelegenheit.
Ich warf erst einmal einen Blick auf den opulent bestückten Büchertisch.
In der Literaturecke gab es Grass, Böll und Borchert. Die Philosophie war vertreten mit Bloch, Horkheimer und Marcuse. In der Psychoabteilung lagen Wilhelm Reich und Ronald D. Laing aus. Die Systemkritik fehlte auch nicht, hier standen Lenin und Marx einträchtig neben Bakunin. Dann ein nicht zu übersehender Stapel des kleinen roten Buches mit den Sprüchen des großen chinesischen Vorsitzenden.
Wenn der Vorsitzende des örtlichen DGB-Verbandes Wind davon bekäme, dass hier die Mao-Bibel verkauft wurde, aber keine einzige Gewerkschaftsbroschüre auslag, würde er mit Sicherheit Stress machen. Lief der bärtige Bücherfreak vielleicht deshalb so nervös auf und ab?
Wahrscheinlicher war, dass er Schiss hatte, seine Ware, die zum Umsturz des Systems aufrief, könnte geklaut werden.
Aber was war denn das? Links neben dem Tisch hockte ein Freak im Schneidersitz auf dem Boden. Er sah aus wie ein Waldschrat mit seiner zotteligen Rotschopfmähne und dem wild wuchernden Bart, der ihm bis zur Brust ging. Vor ihm ausgebreitet auf einem Tuch die tollsten Kifferutensilien. Da lagen sie, die Chillums, Kawumms und Purpfeifchen, aus Holz und Sandstein und mit allerlei Verzierungen. Beste Handarbeit. Auch Räucherstäbchen in den verschiedensten Duftnoten hatte er im Angebot sowie kleine Flaschen mit Moschusöl und Rosenwasser. Und jene Hemden, wie er selbst eines trug, ohne Kragen, die am Hals mit einer Art Bindfaden zugezogen wurden. Das war der neueste Hippie-Schick. Wie Carlos Castanedas Buch Die Lehren des Don Juan, das er ebenfalls feilbot.
Auf dem Büchertisch leuchtete mir in großen roten Lettern vor knallgelbem Hintergrund das Wort ACID entgegen. Ich nahm das Buch mit dem psychedelisch anmutenden Umschlag in die Hand.
»Das ist eine Sammlung amerikanischer Undergroundliteratur«, sagte Andi. »Die ist zwar schon zwei Jahre alt, sollte man aber gelesen haben.«
Er deutete auf meine Jutetasche. »Aber wem sage ich das, du trägst bestimmt wieder eine halbe Bibliothek mit dir herum?«
Ich hatte Jean-Paul Sartre und Albert Camus dabei. Die französischen Existenzialisten fand ich hochinteressant. Wie immer hatte ich auch ein Fremdwörterlexikon und mein fast vollgeschriebenes Notizheft eingesteckt. Das Lexikon war eine wichtige Informationsquelle. Im Notizheft hielt ich meine Gedanken fest, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Schreiben, das machte mir Spaß, das war mein Ding.
Andi war anscheinend in der richtigen Stimmung für eine kleine intellektuelle Auseinandersetzung. Bitte, kannst du haben, dachte ich.
»Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Das bedeutet, dass der Mensch das ist, was er tut, was er aus sich macht«, sagte ich.
»Hört, hört, der Herr Bildungsbürger zitiert Sartre. Bravo, kann ich da nur sagen. Aber die Zeit der Existenzialisten ist längst vorbei«, knurrte Andi abfällig. Mit der einen Hand zwirbelte er am Schnurrbart, mit der anderen klemmte er sich die Haare hinters Ohr.
»Existenzialismus ist keine Mode, sondern eine Lebenseinstellung. Ein Existenzialist ist einer, der für den Augenblick lebt«, gab ich lapidar zurück.
Sartre. Der Philosoph der Straße, der Cafés, Clubs und Bars. Der hatte den Mumm, von der Revolution zu schreiben und den Nobelpreis abzulehnen. Adorno dagegen war akademisches Hirnschwitzen, theoretisches Wolkenkuckucksheim. Ihn zu lesen, verursachte mir regelrechte Pein.
»Was machst du eigentlich hier, Andi?«, fragte Mark, der sich nun zu uns gesellt hatte. »Was wir heute zu hören bekommen, ist doch unter deinem Niveau.«
»Falls du es noch nicht weißt: Der Trommler von Guru Guru war mal ein Jazzer, bevor er zum Rock konvertierte.« In Andis Antwort schwang eine Überheblichkeit mit, die jemand
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