Trips & Träume
Anfangs kam zum Geburtstag und Weihnachten ein Umschlag mit Geld für mich. Das hatte vor drei Jahren aufgehört. »Wenigstens zahlt er seine Alimente noch«, sagte Huguette.
In der am weitesten zurückliegenden Erinnerung an meine Kindheit kurve ich mit dem Dreirad durch Augustes Frisierladen. Dort hatte ich Träumer komischerweise nie etwas zu Bruch gefahren. Inzwischen hatte Auguste das Geschäft längst verkauft. Einmal in der Woche ging sie noch hin und bediente ein paar alte Stammkundinnen. Zubrot für ihre Rente.
Auguste zog mich groß, denn von Huguette sah ich von Kindesbeinen an nur den Rockzipfel. Kaum kam sie von der Arbeit nach Hause, verschwand sie auch schon wieder. Entweder mit Bürokram im Wohnzimmer, wo sie oft bis zehn Uhr abends oder länger über irgendwelchen Akten saß, oder sie ging zu ihren Fortbildungskursen an der Volkshochschule. Vor ein paar Monaten war sie zur rechten Hand des Geschäftsführers aufgestiegen. Die Wochenenden gehörten der Partei.
Ich rieb mir die Schläfen, das Trommeln in meinem Kopf war immer noch da. »Wie lange habe ich geschlafen?«
Karrieremama klang genervt. »So lange, dass heute Sonntag ist.«
»Wozu diese Aufmachung, musst du etwa ins Büro?«, fragte ich. Kein Hallo, kein Guten Morgen, dafür kleine Sticheleien. Das gehörte zwischen uns einfach dazu.
»Wenn du dich nicht immer mit deinen Möchtegern-Revoluzzern in diesem heruntergekommenen Rockschuppen rumtreiben würdest, dann wüsstest du, dass ich heute eine wichtige Sitzung habe.«
Ich hatte mir eine Tasse aus dem Regal gefischt, sie mit dem Rest des Tees aus der Porzellankanne gefüllt und mich auf die Eckbank am Fenster gesetzt. Ich legte die Füße hoch und schaute sie herausfordernd an.
»Bitte keine Gardinenpredigt«, antwortete ich.
»Der Kreisverband bereitet den Parteitag in Mainz Ende des Monats vor«, sagte sie teilnahmslos wie eine Nachrichtensprecherin.
Bei der Landtagswahl im März war die SPD in Rheinland-Pfalz auf 40,5 Prozent gekommen, die CDU auf 50,0 Prozent, die FDP auf 5,9. Die NPD erhielt 2,9 Prozent der Stimmen. Helmut Kohl nahm für seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident die Freidemokraten mit in die Regierung. Die Genossen indes waren mit dem Lecken ihrer Wunden beschäftigt.
»Na prima, und in vier Jahren kandidierst du für den Landtag. Dann bist du ja am Ziel deiner Wünsche«, sagte ich.
Huguette sah mich ernst an. »Immerhin habe ich Ziele.«
»Hör auf, auf mir herumzuhacken, nur weil ich nicht dem Bild des Sohnes entspreche, so wie du ihn immer wolltest, strebsam und folgsam«, entgegnete ich. »Kümmer du dich lieber mal um deine Zukunft. Wenn der Sommer vorbei ist, erwarte ich von dir, dass du mir sagst, wie es mit dir weitergeht. Länger schaue ich mir dein Gammlerdasein auf meine Kosten nicht an.«
Das war die Höhe. Meine sozialliberale Mama packte die Keule aus.
»Du hast doch nur Angst, dein Freaksohn könnte sich als Karrierebremse erweisen«, konterte ich.
»Du besitzt nicht den kleinsten Funken Ehrgeiz, etwas aus dir zu machen. Selbstverwirklichung, das ist das Einzige, was dich interessiert. Und das bisschen Schreiben? Nur weil du einen Artikel in diesem Schülerblatt hattest, macht das aus dir noch keinen Augstein.«
Sie schnappte sich den Autoschlüssel vom Haken neben dem Wandtelefon und war draußen, bevor ich antworten konnte.
Huguettes Erfolgshunger widerte mich an.
»Habt ihr euch wieder gestritten?«
Auguste stand in der Tür. Sie musste gerade erst gekommen sein, denn sie hatte noch ihren Mantel an. Das Hochamt am Sonntag verpasste sie nie.
»Du musst Hunger haben, das sehe ich dir doch an. Ich mache dir Spiegeleier, die magst du doch so gern«, sagte sie.
*
Als ich am Montagvormittag die Redaktion betrat, bekam ich vor Aufregung weiche Knie. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
Schirmer griff wortlos nach dem Manuskript – vier vollbeschriebene Seiten, die ich in die Adler-Schreibmaschine gehämmert hatte.
Der Herr Redaktionsleiter saß an seinem Redaktionsleiterschreibtisch und lehnte sich weit in seinem Redaktionsleiterstuhl zurück. Ich fürchtete schon, er würde bei der kleinsten Bewegung nach hinten wegkippen.
Er warf einen flüchtigen Blick auf meinen Text. Mit der Hand deutete er mir an, auf dem freien Stuhl Platz zu nehmen.
Er hatte kein eigenes Büro. Sein Tisch befand sich am Kopf eines schlauchartigen Raumes. Von dort aus konnte er alles überschauen, insgesamt sechs Arbeitsplätze.
Ich zog mir den
Weitere Kostenlose Bücher