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Trips & Träume

Trips & Träume

Titel: Trips & Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Fischer
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tat, sozusagen von oben, aus einer Himmelssicht auf meine eigene Person.
    Wenn es Wahnsinn gibt, dann bin ich jetzt nahe dran, dachte ich. Aber dennoch fühlte ich keine Panik.
    »Viele Pianisten hatten Probleme damit. Robert Schumann zum Beispiel, der litt auch an einer fokalen Dystonie«, sagte Andi.
    Ich konzentrierte mich. »Ich dachte immer, ein schweres seelisches Leiden hätte seine Karriere beendet«, sagte ich. Sie achteten nicht auf mich.
    »Und was, bitte schön, ist eine fokale Dystonie?«, fragte Mark.
    »Deine Finger gehorchen dir nicht mehr«, antwortete Andi.
    Mark schaute erstaunt. »Wie das?«
    »Schumann, um bei dem Beispiel zu bleiben, wurde von seinem Lehrer Friedrich Wieck zu Höchstleistungen angetrieben. Um seine Finger geschmeidiger und schneller zu machen, hat Schumann sie mit Bindfäden gedehnt. Das tut höllisch weh. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass sich beim Spielen unwillkürlich sein Mittelfinger der rechten Hand einrollte. Er ist es nie mehr losgeworden.«
    »Das ist der Preis für den Erfolg«, sagte ich lapidar.
    Diesmal nahm Andi Notiz von mir und nickte in meine Richtung.
    »Wenn du in der Oberliga mitmischen willst, wenn du von der Klasse eines, sagen wir mal, Glenn Gould oder Friedrich Gulda bist, dann musst du üben, üben und nochmals üben. Bis zum Umfallen«, antwortete er.
    »Die sind doch so gut, die brauchen das nicht«, sagte Mark.
    Andi klemmte sich die Haare hinters Ohr. »Die stehen unter enormem Druck, da sind die vielen Konzerte, die Plattenaufnahmen. Und das Publikum erwartet, dass sie immer das Beste geben. Wusstest du, dass sechzig Prozent aller Orchestermusiker unter chronischen Schmerzen leiden? Bläser pressen sich die Zähne krumm, Geiger den ganzen Kiefer schief. Die Bläser riskieren zudem einen Schlaganfall, wenn sie mit der Zirkulationsatmung, dem gleichzeitigen Ein- und Ausatmen, die Pausen zum Luftholen aus ihrem Spiel streichen. Cellisten werden mit der Zeit taub, weil die Blechbläser hinter ihnen regelmäßig in Düsenjägerlautstärke losdröhnen. Und die dicken Saiten des Cellos malträtieren den Mantel der Fingernerven, bis er brüchig und jeder Griff zur Qual wird.«
    »Rockmusiker kennen das auch. Von der Dröhnung, die ihre Verstärker verursachen. Pete Townshend von The Who benutzt Ohrstöpsel, seit er ein Pfeifen im Ohr hat«, sagte ich.
    Andi zuckte mit den Schultern. »Jazzer und Rockmusiker haben Orchestermusikern eines voraus: Sie können improvisieren. Ein Cellist oder Pianist hält sich immer an die Partitur. Aber lass ihn mal acht Takte frei über ein Thema spielen, dann hapert es. Das ist es, was Jazzer und Rocker von studierten Musikern unterscheidet, das Spontane, das Solistische, etwas aus dem freien Spiel heraus zu entwickeln. Hey, was ist das, hört ihr das auch?«
    Andi drehte sich in Richtung Flur, wo das Geräusch herkam. Wir schauten uns an. Alle drei, wie wir da saßen, sprangen auf einmal auf.
    An der Tür zum Müsli klopfte es laut. Das ließ nichts Gutes ahnen.
    Kawumm! Jemand donnerte einen Rammbock gegen den Eingang.
    Das Schloss gab sofort nach. Holz splitterte. Krachend flog die Tür auf. Vier Polizisten spazierten grinsend herein, die Mützen tief im Gesicht. Sie klopften sich den Dreck von den grünen Hosen und schoben Moses und Moni vor sich her, die verdutzt aus dem Matratzenzimmer geschlurft kamen.
    Der ältere der vier Bullen stolzierte im Flur auf und ab wie ein General, die Jacke geöffnet, einen Daumen lässig in den Gürtel gehängt. Eine Dienstwaffe konnte ich nicht sehen. Aber er war anscheinend ihr Anführer.
    Mein Herz pochte, Scheiße, dachte ich, ich bin auf Acid, und irgendwo hier ist bestimmt noch Dope vorhanden. Wir sind am Arsch!
    Ich erkannte Anführer als den Typen, der in den vergangenen Tagen mehrfach mit dem Streifenwagen am Hot Rats vorbeigefahren war. Jedes Mal hatte er den Fuß vom Gas genommen und argwöhnisch das Treiben am Eingang beobachtet. Die Freaks hatten ihn geneckt. Sie winkten ihm zu und machten das Peace-Zeichen.
    Anführer sprühte vor Selbstbewusstsein, für ihn war das hier wahrscheinlich der größte Fang seiner Laufbahn. »Ausweiskontrolle! Und dass mir keiner abzuhauen versucht«, schrie er durch die Wohnung.
    Auf sein Zeichen hin postierten sich zwei Bullen – sie waren nicht älter als dreißig – an der eingetretenen Tür, damit ihnen keiner entwischen konnte.
    Am Treppenaufgang gab es bereits Schaulustige. Ich sah Leute in Schlafanzug und Nachthemd. Nachbarn,

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