Trips & Träume
vor, als hätte ich nie zuvor etwas Besseres gehört. Nichts war abgekupfert, alles war original. Und als Paul auch noch ein melodisches Gitarren-Solo über sechzehn Takte hinlegte, war ich vollends von den Socken. Das war herausragend, mit Abstand das Beste, was auf dieser Vorentscheidung bisher geboten worden war.
Schnell kritzelte ich meine Bewertung ins Notizheft.
Als der letzte Ton verklungen war, brach ein Jubel los, der an Hysterie grenzte. So begeistert hatte das Publikum bei noch keiner Band reagiert.
Dreamlight präsentierten noch ein zweites Stück.
Und wieder war ich beeindruckt von der Klarheit und der Ausdrucksstärke ihres Spiels. Skip, Paul, Gero und Mark hatten innerhalb kürzester Zeit in musikalischen Siebenmeilenstiefeln hundert Schritte nach vorn gemacht. Dreamlight hatten sich zu einer Band entwickelt, in der sich die Musiker dem gemeinsamen Ziel unterordneten und so zu einer Einheit verschmolzen. Selbst Mark drängte nicht in den Vordergrund und ließ sein Talent in einem kurzen, furiosen Solo aufblitzen.
Der Sound von Dreamlight war das neue Ding. Daran gab es für mich keinen Zweifel. Das war nicht zu erwarten gewesen nach jener ersten Probe, die ich als stümperhaft in Erinnerung hatte.
Sie konnten mit den Großen mithalten.
Fürst sagte als Erster etwas. »Das ist es! Nach so einem Sound habe ich gesucht. Festival hin, Festival her, die nehme ich unter Vertrag.«
Don konnte es nicht glauben. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Ich suche Bands mit einer Idee, mit einer Vision. Die Jungs hier sind richtig gut.
Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, in der Provinz kannst du noch wahre Perlen entdecken. Ich bin gespannt, ob Andi und seine Truppe etwas ähnlich Gutes abliefern kann«, antwortete Fürst.
Don hatte schon die Dollarzeichen in den Augen. »Wenn du die Bands haben willst, musst du mit mir sprechen. Ich bin ihr Manager.«
»Ihr habt nur Business im Kopf. Hier geht es erst einmal um große Kunst«, warf ich ein. Don und Fürst hielten es nicht für nötig, darauf zu antworten.
Ein Typ um die sechzig, in schwarzen Lederjeans, trat vor das Mikrophon und packte ein Tenorsaxophon aus. Er klemmte es in den Gurt, den er um den Hals trug. Das musste Reed Isberg sein, der Jazzer, von dem Andi erzählt hatte. Sein weißes Seidenhemd war bis zum Bauchansatz aufgeknöpft und brachte eine üppige Brustbehaarung zum Vorschein.
Ein brauner Hut ließ ihn entfernt nach Gato Barbieri aussehen. Darunter lugten graue Haare hervor. Wenn er so Saxophon blies, wie er sich gestylt hatte, dann durfte er von mir aus gern einen auf Barbieri machen.
Den Rest der Besetzung kannte ich nicht. Sie stammten nicht aus unserem Kaff, ich hatte sie noch nie gesehen. Der Bassist war ein schlaksiger, blonder Jüngling. Am Schlagzeug saß ein italienisch anmutender Beau, der immerzu strahlte, während ein Typ mit Bubigesicht und schulterlanger Lockenpracht die Gitarre einstöpselte. Er hatte das Instrument knapp unters Kinn hochgezurrt, so wie Larry Coryell und Philip Catherine es zu tun pflegten.
Wo hatte Andi die nur aufgetrieben? Seine Mitstreiter mussten aus der Großstadt kommen, wahrscheinlich über Isbergs Kontakte in der Jazzerszene. Andi hatte sein Flickenjackett ausgezogen und war am Fender-Rhodes-Piano in Stellung gegangen.
Auf sein Zeichen hin gingen sie sofort in die Vollen.
Der reinste Jazzrock-Wahnsinn fegte durch den Raum.
Fra Mauro servierten ein musikalisches Gebräu, das mich aus den Schuhen holte. Ein tolles Solo jagte das andere. Isberg entlockte seinem Instrument orgastische Töne, das Saxophon schrie und stöhnte. Die Finger des Gitarristen flogen pfeilschnell über die Saiten, der Bassist spielte mit geschlossenen Augen die kompliziertesten Läufe. Der Trommler produzierte swingende, vorwärtstreibende Beats. Sein Spiel war anders als das von Mark, aber genauso talentiert und beseelt.
Auf Andis Gesicht stand das pure Glück geschrieben. Er brachte sich mit vertrackten Patterns und Clusters in das musikalische Geschehen ein. Er strahlte, weil er Teil einer Einheit war. Jeder Solist drängte sich nur so weit in den Vordergrund, wie es Andi zuließ. Dies war seine Musik, er hatte das alles komponiert, und seine Kollegen setzen seine Noten so um, so wie er es sich erträumt hatte. Fra Mauro rockten und jazzten fünfzehn Minuten wie im Rausch. Sie nahmen die Zuhörer mit auf eine Reise ungewöhnlicher Harmonie- und Taktwechsel. Eine atemlose Sekunde lang passierte nichts. Niemand im
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