Trips & Träume
Mehrzweckraum der Stadthalle konnte glauben, was da gerade abgeliefert worden war. Dann brach erlösender Jubel aus.
»Zugabe, Zugabe, Zugabe«, skandierte das Publikum.
Alle Musiker waren schon von der Bühne. Nur Andi nicht.
»Ich spiele jetzt noch ein Lied, das noch nicht wirklich fertig ist, das ich euch aber nicht vorenthalten will. Es dauert auch nicht lange«, sagte er ins Mikrophon und schaute zum Richtertisch rüber. Don und ich waren wie gelähmt. Fürst machte eine einladende Geste.
Reed Isberg stellte sich zu Andi ans Piano und setzte nun ein Sopransaxophon an den Mund. Isberg blies eine einfache Melodie, so warm und gefühlvoll, dass sie mir sofort ans Herz ging. Das Duett dauerte vielleicht zwei, drei Minuten. Es war das erste Mal, dass ich Andis Song hörte.
*
»Die sind beide Anwärter auf den ersten Platz im Finale«, sagte Fürst, »ich schwöre euch, das wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen.«
»Und was ist mit dem Preis, den du versprochen hast?«, fragte Don.
»Ich stehe zu meinen Wort. Der Gewinner wird im Vorprogramm von Witthüser & Westrupp auftreten.«
Obwohl in Montreux schon längst besprochen, besiegelten Don und Fürst mit einem Händedruck noch einmal ihren Deal.
Der Saal hatte sich inzwischen fast geleert. Ich fühlte mich erleichtert, dass alles vorbei war. Die drei Tage waren ausgefüllt und voller Leben gewesen. Doch jetzt war ich ausgelaugt.
Nach Fra Mauro hatten noch Occulta und Tara Folk gespielt. Occulta glaubten, sie seien Genesis. Ich blieb meiner unbestechlichen Linie in der Bewertung treu. Tara Folk, drei Jungs und eine Sängerin, spielten einfache, aber ernsthafte Lieder über Liebe und Freundschaft. Drei akustische Gitarren, Tamburin und die weiche Stimme von Mara. Das hatte was.
Don schickte mich ans Mikrophon, um dem Publikum die Finalisten bekanntzugeben.
»Feigling«, sagte ich.
»Ich arbeite lieber im Hintergrund«, meinte er, »nun mach schon, die Leute warten darauf.«
Stiebel Eltron, Inri, Tara Folk, Dreamlight und Fra Mauro.
Die Leute klatschten freundlich Beifall. Sie schienen mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Dann ging das Saallicht an, und sie schlurften nach Hause.
Toni und Erwin waren wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht und halfen trotz Kifferschlitzaugen beim Abbau. Fetzer stemmte wortlos eine Box nach der anderen in den Transit. Köfers Willi stand an der Ladefläche und kontrollierte, dass auch nichts fehlte.
Karen und Giulia hatten Don die Abendkasse in die Hand gedrückt und sich zum Pennen ins Müsli verabschiedet.
Es dauerte drei Stunden, bis der Raum wieder betretbar aussah. Billy war zu müde, um die Jungs herumzukommandieren, in aller Ruhe verstaute er das Mischpult in die dazugehörige Transportkiste. Don war der Einzige, der hektisch herumwuselte. Schließlich nötigte er Fetzer und mich noch, mit einem Putzlappen über den Boden zu wischen. Von den Bands war keine mehr zu sehen. Die Herren Musiker feierten bestimmt im Rats. Die einen, um ihre Frust zu ersaufen, die anderen, um auf den Einzug ins Finale einen zu heben oder zu rauchen.
Ich war froh, dass wir Fürst bewiesen hatten, dass in der Szene unserer kleinen Stadt wirklich Potenzial steckte. Das Musikfieber hatte eine Entwicklung genommen, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
»Hey, lasst uns noch was trinken, bevor wir alle auseinandergehen, nebenan beim Dicken, da kriegen wir bestimmt noch was«, schlug Don vor.
Und so kam es, dass Fürst, Rosie, Don und ich an einem Tisch saßen. Rosie mir gegenüber, mich durchdringend anschauend.
»Jetzt entkommst du mir nicht«, sagte sie.
Ich schaute entgeistert. Was meinte sie damit?
Fürst grinste. »Sie kann das sehr gut, du kannst ihr vertrauen.«
Sie holte ein längliches, rechteckiges Döschen hervor, das mit bunten Perlen beschlagen war, öffnete den Deckel und legte einen Satz Karten auf den Tisch, die größer waren als gewöhnliche Spielkarten.
Die Karten flattern durch ihre Finger. Sie machte das sehr geübt. Tarot, worum ging es da? Um die Wahrheit, welche Wahrheit? Was sollte das?
Sie ließ mich abheben. »Eine alte Rumänin hat es mir beigebracht.«
Ich zog nach und nach sieben Karten. Rosie breitete sie verdeckt auf dem Tisch aus. Pfeilförmig geordnet und mit der Spitze auf mich gerichtet.
»Was jetzt?«, fragte ich amüsiert.
»Du deckst die Karten auf. Beginne mit der Spitze. Dann gehst du schrittweise immer eine Stufe weiter und drehst die nächste um. Und jedes Mal werde ich dir was dazu
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