Trips & Träume
bei ihm reingeschneit und erzählte ihm von der Todeskarte. Ihn schien das aber nicht zu interessieren.
»Du hörst mir gar nicht zu«, murrte ich.
Null Reaktion. Keine Antwort ist auch eine Antwort, dachte ich.
Er schenkte seine Aufmerksamkeit einem runden Ding aus Gummi. Es war seine neueste Errungenschaft, für die er in Bauchhöhe sogar ein Regalbrett an der Wand befestigt hatte. So konnte er das Trommelpad nämlich in Stehen spielen. Es eignete sich für das Üben zu Hause und hatte den Umfang einer Konzerttrommel. Der Gummi dämpfte die Lautstärke, man hörte nur das Klackern der Stöcke. Wenn Mark nicht übte, lagen Bücher und Zeitschriften auf dem Regal. Das Pad und die Sticks versteckte er dann im Schrank unter den T-Shirts. Mark übte einen Paradiddle.
Rechts, links, rechts, rechts, links rechts, links links.
Klack, klack, klack-klack, klack, klack, klack-klack.
»Ich habe kein Auge zumacht, so hat mich das beschäftigt«, sagte ich. Tatsächlich hatte ich mich von einer Seite auf die andere gewälzt.
»Du lebst doch noch, oder?«
»Was aber, wenn Rosie recht hat?«
Unbeeindruckt trommelte er weiter. »Recht womit?«
»Sie sagte, die Todeskarte ziehen bedeute zwar nicht unbedingt, dass jemand stirbt. Obwohl das nicht auszuschließen sei. Aber sie drückte sich so komisch aus. Dass irgendetwas zu Ende gehen würde.«
»Und jetzt denkst du, du müsstest abkratzen, oder was?«
»Na ja, wär doch möglich.«
»Vergiss den Käse einfach.«
»Kann ich nicht.«
Mark legte die Stöcke zur Seite und ging zur Musiktruhe, die neben dem Kleiderschrank stand. »Ich zeig dir was, das dich auf andere Gedanken bringt«, sagte er.
Die Truhe stammte noch aus den fünfziger Jahren. Radio, Plattenspieler und zwei scheppernde Lautsprecher in einer Art Kommode.
Im unteren Teil befand sich ein Fach zum Aufbewahren der Schallplatten. Mark fischte die King-Crimson-Scheibe mit dem Fratzen-Cover heraus, klappte den Deckel auf, legte die Platte auf den Teller und drückte Start.
Kaum hatte die Nadel auf dem Vinyl aufgesetzt, war ein Knistern von der Sorte zu hören, das an das Abfackeln eines Lagerfeuers erinnerte. Und zwar eines sehr großen Feuers. Wahrscheinlich war seit Jahren die Nadel nicht mehr gereinigt, geschweige denn gewechselt worden.
»Cat’s foot iron claw / Neuro-surgeons scream for more / At paranoia’s poison door / Twenty first century schizoid man«, hallte die Stimme von Bassist und Sänger Greg Lake durchs Zimmer. Oder besser der Teil, der von seinem Gesang übriggeblieben war.
Mark ließ sich von dem beschissenen Sound nicht beirren.
Mit präzisen Schlägen aus dem Handgelenk trommelte er auf dem Gummi die Figuren aus dem Mittelteil mit. Genau dem Teil, in dem sich Rhythmus und Tempo gegenseitig zu ungeahnten Höhen hochschraubten.
»Wow«, entfuhr es mir spontan, »du wirst immer besser.«
Mit einem Ausdruck der Genugtuung setzte er den letzten Akzent.
»Ich gehe nach Berlin«, sagte Mark.
»Du gehst was?«
»Fürst will mit uns eine Platte aufnehmen.«
»Aber erst muss Dreamlight doch wohl das Festival gewinnen?«
»Fürst ist das egal. Er sagt, er macht die Platte so oder so mit uns.«
»Was meinen Skip, Gero und Paul dazu?«
»Die wären blöd, wenn sie sich diese Chance entgehen ließen, oder?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alles stehen und liegen lassen.«
»Dann sollen sie doch in diesem Kaff versauern.«
Plötzlich begriff ich. »Wenn du nach Berlin gehst, dann heißt das, du gehst auch allein?«
»Fürst meinte, für jemanden wie mich hätte er immer einen Job. Als Studiomusiker. Das ist, als würde mein Traum wahr.«
»Reich, berühmt und sexy zu werden? Wegen der blöden Versprechungen von so einem Windhund wie Fürst willst du abhauen, die Band, das Musikfieber und das alles im Stich lassen?«
»Wenn Skip, Gero und Paul nicht mitkommen, dann ist das deren Problem. Für mich ist die Sache beschlossen.«
»Und was ist mit Karen?«
»Die ist mit Andi gut bedient.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Du lässt deine Freunde hängen.«
In diesem Moment ging die Tür auf, und Marks Vater stand im Raum.
Der Mann strotzte vor Kraft. Ein Kreuz wie Muhammad Ali. Er war körperliche Arbeit gewohnt, riss seine Schichten am Fließband der Chemiefabrik ab, in der Huguette auf Doris Day machte. Vor Jahren hatte er mitten im Sommer im Hinterhof eine Garage für seinen Opel Admiral hochgezogen, Steine und Zementsäcke über den Hof geschleppt, als wäre das
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