Trips & Träume
das Mikrophon am Bühnenrand gerichtet. Ich hatte so etwas noch nie gemacht. Augen zu und durch, dachte ich. Inri hatten sich sofort an ihre Instrumente begeben. Links von mir erkannte ich Moses. Er saß an dem kleinen Mischpult, von dem aus er den Monitormix kontrollierte, und hielt die Daumen hoch. Sonny stand etwas abseits, er hatte die Eimer mit dem Trockeneis in Position gebracht.
Los jetzt, mach dir nicht ins Hemd, sagte ich mir und marschierte schnurstracks auf das Mikrophon zu. Ich schaute ins Zelt hinein, konnte aber nichts erkennen, das Licht blendete mich. In der ersten Reihe nahm ich ein paar Gesichter wahr, von denen mir aber kein einziges bekannt vorkam. Freaks und Hippiemädels, Krautrocker und Szenegesichter.
Mir lief der Schweiß in Bächen den Rücken herunter. Es kitzelte in der Arschfalte.
»Ladies and Gentlemen, heute lassen wir es krachen!«
Gelächter, vereinzelter Beifall.
»Abheben, Alter. Mach endlich hin!«, rief jemand in der ersten Reihe. Saublöd, das mit dem Krachen, aber es war mir nichts Besseres eingefallen.
»Ein Traum ist wahr geworden«, machte ich weiter, »ein Undergroundfestival in unserem verschlafenen Kaff! Schaut euch um. In dieses Zelt passen tausend Menschen. Und was sehe ich? Die Hütte ist voll, die Stimmung ist phänomenal, und auf der Bühne steht eine Anlage, die euch Hirn und Ohren mächtig durchpusten wird. Seid ihr bereit?«
Müdes Klatschen war die Antwort.
»Bevor es losgeht, möchte ich ein Dankeschön aussprechen. Denn so ein Ereignis stellt man nicht allein auf die Beine. Ein paar von denen, die maßgeblich beteiligt sind, will ich erwähnen. Da wäre Billy von der Technik, Fetzer von der Security und Karen in der Backstage. Doch das größte Lob hat Don verdient. Er hatte die Idee, ohne ihn würde es dieses Festival nicht geben. Und danke auch an euch, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Lasst uns eine gute Zeit und ein tolles Fest haben. Kurz noch zum Procedere: Bitte vergesst nicht eure Stimmzettel auszufüllen und in die dafür bereitstehenden Urnen zu werfen.«
Ich machte eine Pause.
Irrte ich mich, herrschte mit einem Mal eine merkwürdige Stimmung da draußen? Warum waren die alle so verdammt still? Ja, klar, dachte ich. Sie waren genauso gespannt wie ich.
»Ladies and Gentlemen, hiermit erkläre ich das Undergroundfestival für eröffnet. Begrüßt mit mir die erste Band des Abends. Einen herzlichen Applaus für Inri!«
Auweia, das war komplett daneben, gequirlte Kacke, sagte ich mir, trat aus dem Lichtkegel und huschte rüber zum Boxengang.
Der Scheinwerfer war nun auf Schmunz, den Keyboarder, gerichtet.
Er musste Lampenfieber hoch drei haben, so steif, wie er an seinem Piano saß. Sein Fuß zuckte nervös auf dem Wah-Wah-Pedal auf und ab. Wie durch ein Wunder verwandelte sich das Rauschen des Geräts in einen wohlbekannten Klang. Ein Schschschsch der Stärke vier sauste über die Boxen. Das Wah-Wah machte Wind.
Schmunz hielt eine Triangel in der Hand. Ping!
Moses stand recht gelangweilt an seinem Monitormischpult. Bei Ping! und Schschschsch hatte er nicht viel zu tun. Ich sah Sonny, wie er aufgeregt von einem Trockeneis-Eimer zu nächsten rannte und Wasser hinzugab.
Tatsächlich, es funktionierte. Ein weißer Nebel kroch über den Rand der Eimer und breitete sich langsam über den Bühnenboden aus.
Ping! machte die Triangel.
Schschschsch machte das Wah-Wah.
Spontaner Szenenapplaus brandete auf. Ich bekam eine Gänsehaut, so ging es wohl jedem in dem von Freaks besetzten Zelt. Ich war gespannt, was als Nächstes kommen würde.
Inri hatten den perfekten Einstieg gefunden.
Ping! und Schschschsch.
Nach dem zwanzigsten Ping! und dem nicht enden wollenden Schschschsch machte sich langsam Unruhe breit. In den vorderen Reihen wurde getuschelt. Plötzlich Buhrufe. Erst vereinzelt, dann immer mehr.
»Unglaublich abwechslungsreich, Alter«, rief einer aus dem Publikum.
Jungs, kommt schon, jetzt muss aber was passieren, dachte ich.
Der Nebel hatte Inri komplett eingehüllt, die Bandmitglieder waren nur noch in Umrissen zu erkennen. Dennoch nahm ich wahr, wie Schmunz in hektische Aktivitäten verfiel. Er schob Regler rauf und runter, knipste Knöpfe an und aus. Nichts geschah, das Piano gab keinen Mucks von sich. Tot. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Wo blieb Rössel, der Roadie? Ach ja, der war ja nur für die Gitarren zuständig. Dass das Piano abkacken würde, daran hatte wohl auch Billy nicht gedacht.
Ich beschloss
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