Trips & Träume
rüber. Sie eröffneten ihren Auftritt mit dem gleichen Stück wie beim Vorentscheid. Diesmal klang es sogar noch besser.
»Erzähl weiter«, sagte ich. Ich musste die Stimme heben, um mich gegen die immer lauter werdende Musik durchzusetzen.
Karen räusperte sich. »Er tauchte hier am den Stand auf und fragte, ob ich mit Andi auch knutschen würde. Dann gab er mir den Talisman zurück, er brauche ihn nicht mehr.«
Typisch Mark, dachte ich. Er mutierte zur Arschgeige, wenn er nicht seinen Willen bekam. Typisch Karen. Sie konnte sich nicht entscheiden, wenn es um die Liebe ging,
Ich blickte Miti an, sie hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Dabei war ich doch nur wegen ihr hier.
Ich riss meinen ganzen Mumm zusammen und küsste sie auf die Wange. Sie legte ihre Arme um mich.
»Hey, ich möchte auch mal gedrückt werden«, sagte Karen.
Wir nahmen sie in unsere Mitte.
*
Mark, Skip, Gero und Paul waren beim letzten Stück angekommen.
Dreamlight spielten so gut, dass mir sofort Marks Worte im Ohr klingelten. Ich will reich, berühmt und sexy werden.
Auf einmal war mir klar – ja, er könnte es schaffen, er hatte das Zeugs dazu. Mark hatte den Biss und den Ehrgeiz, der den anderen fehlte.
Was mir Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass er dafür anscheinend bereit war, alles zu tun. Wirklich alles.
Aber ich war doch auch nicht viel besser als er. Warum schrieb ich Artikel übers Musikfieber? Als ich damit anfing, war es noch ein Spaß. Und jetzt? Hatte mich nicht auch der Ehrgeiz gepackt? Wenn nicht für den Rolling Stone , dann zumindest für Sounds zu schreiben, das wär’s doch. Die paar Artikel fürs Provinzblatt brachten mir nicht wirklich die erhoffte Befriedigung. Die Frage stellte sich: Waren uns unsere Träume wichtiger als Freundschaft, Liebe und Ideale?
An der Theke holte ich mir ein Bier, stellte mich in eine weniger belebte Ecke und beobachtete die Leute.
Die Freaks in den hinteren Reihen waren auf die Tische geklettert, um das Geschehen auf der Bühne besser verfolgen zu können, einige tanzten und grölten. Weiter links waren sie in einen kollektiven Rausch verfallen. Eine Gruppe, es mochten an die zehn Flippköppe sein, hielt sich an den Händen und vollführte so etwas wie eine Beschwörung. Sie standen im Kreis, hatten die Hände in die Luft gereckt, als würden sie irgendwelche kosmische Energie aus dem Weltall aufsaugen. Sie schüttelten völlig weggetreten ihre Mähnen zum Sound von Dreamlight.
Paul röhrte über die Gitarre gebeugt den Schlussakkord. Die Orgel von Gero kreischte eine schräge Kadenz. Mark wirbelte über alle Trommeln auf das Finale zu. Skip sprang in die Luft und riss am Bass herum, als wolle er ihm den Hals brechen. Als er wieder Boden unter den Füßen hatte, war mit einem Schlag das Stück zu Ende.
Auch in Sachen Show hatten die Jungs dazugelernt.
Ohrenbetäubender Jubel brach aus. »Dreamlight, Dreamlight«, skandierten die Sprechchöre. Alle im Zelt schienen begeistert zu sein.
Zwick mich, ich träume. Wenn mir jemand das vor Wochen prophezeit hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt.
Ein Haufen älterer Hippies, sie waren um die dreißig und zu viert, fing an, sich gegenseitig mit Bier zu bespucken. Ihrem Verhalten nach mussten sie sich bereits eine ordentliche Ladung reingedröhnt haben.
Alkohol enthemmte auf eine Art, die mir zuwider war. Als Rauschmittel ziemlich primitiv. Oder hatte jemand schon einen Kiffer gesehen, der eine Schlägerei vom Zaun bricht? Kiffer hatten jede Menge andere Probleme, aber niemals wurden sie aggressiv.
Das Musikfieber, das Festival, die abgedrehten Kleinstadtfreaks, auch das Ding mit Fürst, was immer da noch am Laufen war, besaß zwar nicht den Glamour, wie man es in den Metropolen gewohnt war, aber auch wir hatten unsere Stars, und das waren eindeutig Mark und Andi. Plötzlich stellte man etwas dar, redete mit der Presse, mit anderen Vorzeigeblödmännern aus der Spießerwelt, wie etwa dem Herrn Bürgermeister oder Anführer und seinen Leuten, man gab Interviews, die anderntags in der Zeitung standen. Vor drei Monaten noch hatte sich niemand darum geschert, was uns umtrieb.
»Gehörst du nicht zu den Organisatoren des Festivals?«
Den Typen, der mich das fragte, hatte ich noch nie gesehen.
Vorne kurz, hinten lang. An den Schläfen angegraut. Ein rotes Tuch war als Stirnband in die Frisur drapiert. Die blaue Satinhose klebte an den Oberschenkeln wie eine zweite Haut und steckte unten in schwarzen Stiefeln mit
Weitere Kostenlose Bücher