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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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wenn er gesichts-, körper-, und wahrscheinlich auch gedankengelähmt in einem Pflegebett lag und nichts mehr alleine tun konnte. Der Heimleiter und Ingeborg gingen dann einige Schritte durch einen steril riechenden Gebäudetrakt, der Ingeborg trotz dem halb ernst gemeinten Versuch, irgendwie Wohnatmosphäre herzustellen, wie ein Krankenhaus vorkam. Nach wenigen Schritten klingelte das Handy des Mannes und er machte so eine seltsam überhebliche Entschuldigung-ich-muss-mal-telefonieren-ist-bestimmt-super-wichtig-vor-allem-aber-wichtiger-als-ihrer-Langsamkeitzu-entsprechen-und-ihnen-jetzt-hier-alles-zu-erklären-Geste und entfernte sich in schneller Gangart ein paar Schritte von Ingeborg. Sie ließ dann ihren Blick schweifen, und dieser fiel auf eine halb geöffnete Tür. An dieser vorbeisehend, erfasste ihr Blick ein halbes Zimmer. Sie sah die Hälfte einer nackten Frau, die zitternd auf einem Toilettenstuhl saß, während hinter ihr ein junger Mann, wahrscheinlich ein Praktikant, auf dem Bett saß und gelangweilt auf sein Handy schaute. Der Junge hatte eine Frisur, die Ingeborg an eine Vogelart denken ließ. Die Frau hatte einen stark geröteten Kopf, wahrscheinlich war sie im Begriff, Verdauung zu praktizieren. Knapp daneben sah Ingeborg eine weitere komplett entkleidete Frau, die in einem Pflegebett lag, an die Decke starrte, während ihr ein weiterer junger Mann mit einem Waschlappen über die nackte, schlaffe Brust fuhr. Es wirkte, als wüsche er ein Auto oder eine Bank, aber nichts, was irgendwie Gefühle oder Angst haben kann. Als der Heimleiter zurück zu Ingeborg kam und ihr ein Grinsen entgegen warf, das selbst Profidauergrinser wie Hansi Hinterseer zu melancholischen Gestalten gefrieren ließ, war sich Ingeborg sicher, dass Hermann in ihrer gemeinsamen kleinen Wohnung sterben würde. Sie fühlte sich so, als müsse sie dem Heimleiter etwas Schweres ins Gesicht werfen, etwas, was sehr weh tut und unansehnliche Gesichtsnarben hinterlässt, aber sie lachte ihn lediglich affektinkontinent an oder aus und drehte sich einfach wieder um und ließ ihn ratlos stehen. Er rief ihr noch etwas hinterher, was aber so voller falscher Güte war, das Ingeborg fast kotzen musste. Auf dem Weg nach draußen kamen ihr so unglaublich viele traurige Gesichter entgegen, dass Ingeborg einfach nach Lächeln war.
    Drei Tage später stand im Wohnzimmer ein Pflegebett auf Rädern, und darin lag der Mann, den Ingeborg liebte. Er röchelte. Er würde sterben. Langsam. Jeden Morgen und jeden Abend kam ein Mitarbeiter eines mobilen Pflegedienstes zu Hermann, um ihn zu waschen, zu windeln und zu lagern. Ingeborg schaute sich das alles genau an, wie die Pflegedienstmitarbeiter an Hermann herummachten, um ihn zu säubern und oberflächlich schön zu machen. Da er nicht mehr essen konnte, hatte man ihm im Krankenhaus eine Magensonde gelegt, durch die nun Flüssignahrung in seinen Organismus lief.
    Hermann ist nie ein romantischer Mann gewesen, was Ingeborg immer ein wenig fehlte. Sie hatten nie das, was man einen herzlichen Alltag nennen konnte, nein, Hermann ist ein stiller Mann gewesen, auch schon vor seinem Schlaganfall, der jetzt seine Stille auf die Spitze treibt. Blumen gab es nur zum Geburtstag, sonst ausnahmslos nie. Das Leben von Hermann und Ingeborg war so ritualisiert, wie so ein Leben nur ritualisiert sein konnte. Aufstehen, Frühstück ohne Gespräche, dafür mit Volksmusik und Zeitung, Abschiedskuss beim Butterbrotdose und Thermoskaffeekanne überreichen, Hermann durch die Tür und zur Arbeit, Ingeborg zu Hause, Hermann zurück mit müdem und überarbeitetem Blick; Essen, Schweigen, Konstanz. Es ist eine stille und würdevolle Art, in der sich die beiden lieben. Auch jetzt, wo Hermann eigentlich ohne Würde vor ihr liegt, wie eine Leiche, die noch nicht weiß, dass sie tot ist. Es sieht in der Tat für Ingeborg so aus, als sei Hermann gestorben, ohne wirklich schon tot zu sein. Es ist eigenartig, dieses Gefühl beim Betrachten Hermanns, der aus seiner Rolle des sitzend Schweigenden entkommen ist und in die des liegend Schweigenden gewechselt hat. Außergewöhnlich für ihn, der immer in einem Kettenhemd aus Struktur gelebt hatte, der immer den gleichen linksseitigen Scheitel trug, solange Ingeborg ihn kannte. Ab und an macht sie jetzt dem liegenden Hermann einen Mittel- oder einen Rechtsscheitel, nur um das aus-der-Struktur-gefallen-sein zu unterstreichen. Hermann sagt nichts dazu, er starrt, wenn er die Augen mal geöffnet hat,

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