Trisomie so ich dir
Roy sich so umguckt, dann weiß er nicht zu sagen, wer von diesen Geschöpfen hier im Raum jemals imstande sein wird, irgendetwas anderes zu arbeiten, als das hier. Und dann gibt es die, die sich damit abgefunden haben, und es gibt die, denen eh immer alles zu schwer ist, und Roy fragt sich, ob es noch welche wie ihn gibt, also Beschäftigte, die sich ein Leben außerhalb dieser Werkstattmauern vorstellen können, also einfach die Freiheit als Freizeit zu definieren. Roy steckt wie ein automatisierter Roboter kleine Schrauben in kleine Plastiktüten und wünscht sich, es würde endlich was passieren. Was genau das sein soll, weiß er nicht, aber es soll mit der Vergrößerung seines Lebens einhergehen, mit der Optimierung seiner Gefühle. Roy will sich als Mensch da draußen kennenlernen, als jemand, der endlich die Zeit hat, die Erfahrungen zu machen, die ihm fehlen, und diese Arbeit, so denkt er, stellt ein Hindernis in dieser Richtung dar. Weiterhin gibt er Schrauben in Tüten und Tüten in Eimer und vielleicht vergeht gerade der Zeitpunkt, der sein Leben anders machen könnte, wenn er nur aufstehen, die Halle verlassen und ein Leben als Freizeitaktivist beginnen könnte. Roy gibt Schrauben in Tüten und Tüten in Eimer.
In einer Ecke sitzt in einem Rollstuhl Bettina und verdreht komisch die Augen, es wirkt, als ob ihre Zunge viel zu dick für ihren Mundraum ist, als würde Bettina an ihr ersticken. Die Geräusche, die sie macht, wollen auch nicht unbedingt lebensbejahend klingen. Betty denkt, denkt Zeug. »Ach, wäre das jetzt schön, zu verschwinden, das hier alles vorher in Brand gesteckt zu haben und den jungen Praktikanten, der mit den kleinen Händen, der immer so komisch guckt, wenn er meine Muschi von Kotresten befreit, also den überzeugen, dass wir einen offenen Van klauen, ich auf die Ladefläche hinten und er vorne am fahren. Dann Vollgas, weit weg, und dann noch kurz an einem Kiosk halten, Süßigkeiten und Kaffee kaufen. Klebrig süßen Stoff wollen wir uns einverleiben, und wir fahren weiter, weiter Richtung Meer. Ich esse zuerst eine Wunderkugel, die beim Lutschen ständig ihre Farbe ändert, dann einen Colakracher, der sich nach dem Zerbeißen anfühlt, als hätte man kleine saure Scherben im Mund. Wir machen Pause und lassen uns auf eine Wiese fallen, die aus Schokopudding besteht, wir essen zunächst ein Loch in die Wiese, in das wir langsam reingleiten und irgendwie Liebe machen. Der Praktikant reitet das spastische Pony. Mehrfach. Ein Bett aus Zauber und Phantasie, ich bin betrunken von dem Gedanken, dass es jetzt tausend Jahre so weitergeht. Der Pudding dringt in jede Ritze ein, in jede Pore, füllt jedes Loch. Überall nistet sich Hoffnung ein, in jeder verdammten Öffnung ein Keimling. Im Viertelstundentakt machen wir erbärmlich gute Körperliebe, mittlerweile ist dem Praktikanten auch meine Muschi bekannt und er isst Schokopudding aus ihr. Seine roten Wangen verraten seine Euphorie. Wir verschlingen gierig alle Unsicherheiten. Fahren irgendwann weiter. Der Bus ist warm, wir sind immer noch nackt und voller Schokoladenpudding. Es gibt nirgendwo mehr Grenzen, nicht zwischen Deutschland und Holland, nicht zwischen Frauen mit Rädern und Jungs mit Füßen, nicht zwischen ihm und mir. Jede halbe Stunde halten wir an und lecken uns nass, als ob wir Fische wären, die aus dem Aquarium gefallen sind und jetzt Feuchtigkeit auf den Schuppen benötigen, um zu überleben. Aber halt, denke ich zwischendurch, ich bin doch ein Wrack, eine erbärmliche Behinderte und der Junge leckt an mir, wie an irgendwas Erotischem, und dann denke ich: Fuck it! Und wieder wird der spastische Körper gebumst, als gäbe es nur diese eine Möglichkeit, das zu tun. Und ich lache, lache laut und der Praktikant hat einen Röntgenblick und guckt durch mich durch, zerschneidet mich in zwei Teile in seinem Blick und ich fahre meine Arme aus, die längsten Arme der Welt, Go Go Gadgeto und so, distanzüberschreitend, liebreizvermittelnd, sehnsuchtsbekämpfend, zweifelsüberwindend. Eine Idee von Einheit. Wenn wir dann weiterfahren, raucht der Praktikant, und sein rot gefickter, nasser Pimmel sieht aus wie eine mutierte Nacktschnecke. Ich gönne mir weiter unzensierte Gedanken und ich rieche das Meer, hier werden wir leben, der Junge und ich und … « »Bettina hat sich schon wieder eingekotet«, sagt der junge hektische Praktikant, und genervt und leicht aggressiv nimmt er ihren Rollstuhl und schiebt sie, leise fluchend, aus
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