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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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nach Hause begleiten?« Sie redet mit ihm, wie man zu einem Hund spricht. Dass sie ihm nicht am Kinn oder am Kopf krault, verbietet ihr wahrscheinlich irgendeine verpeilte Art von Anstand. Roy nickt zustimmend und denkt, dass seine Probleme, wie auch die Probleme seiner Mitmenschen, eventuell einfach alle im Strom der Zeit vernichtet werden können. Roy setzt sich neben, die Frau, die ihn mit Einzelheiten zu ihrer Knöchelumknickaktion behelligt, alles in einer Lautstärke, die Roy fast die Trommelfelle zerfetzt. Die Alte brüllt durch die Nacht, und Roy sitzt da und sagt nichts. Aber er lächelt, und als der Bus kommt und Roy glaubt, es ist der letzte Bus dieser Nacht, hilft er der Frau in den Bus und setzt sich einfach neben sie. Dann fahren sie schweigend durch die Stille der Dunkelheit.
    Und sie begegnen sich doch, in mancher Nacht, unter den verrücktesten Zufällen. Gott ist schon längst nicht mehr Gott, schon längst nicht mehr gelangweilt, schon längst nicht mehr mehr als alle anderen. Vor allem aber ist er genervt, von dieser blöden Philosophie, die sich mancherorts erhebt und die universelle Welt zerklären will. Gott selbst weiß, dass das nicht funktioniert. Wäre er Psychologe, er würde den Leuten raten, in ihren Häusern zu bleiben, sich nicht zu bewegen und auf jeden Fall die Fresse zu halten. Das ist die einzig mögliche Taktik, dass irgendwie alles gut ausgehen kann. Aber hey, eine Alte trifft einen Mongo, das ist doch irgendwie süß, denkt er noch, und eine optimistische Welle durchflutet die Umgebung.

Irgendwas zwischen Party und Selbstmordversuch
    Einfach losgehen. Und während des Losgehens das Abstreifen, was einen am Abgehen hindert. Aus der Orientierungslosigkeit hinaus gleiten. Aber in was? Was ist die verdammte Option da draußen? Solveig funkt in die Leere: »Hiermit kapituliere ich vor dieser beschissenen Welt und allen Vollfickern da draußen. Ich halt mein Maul, resigniere und zelebriere meinen Untergang unter den Untermenschen.«
    Den Kopf freilassen. Dem eigenen Käfigkopf entsteigen und draußen, außerhalb des eigenen Kopfes, Glück suchen. Weil im Kopf selbst alles verloren ging. Und draußen hoffen, dass das schwere Betonherz bald wieder hüpfen kann. Solveig trägt die Männerenttäuschung mit sich und sitzt jetzt in einem Club, der ihr grobmotorische Beats an die Schläfen knallt, und innen im Kopf randalieren die Denkmuster. Dieses unmögliche Leben, das Arschloch, denkt die Solveig noch, bevor sie sich einem knalligen Cocktail widmet und kaum merkt, wie sie den hochprozentigen Alkohol in ihren Stoffwechsel lädt. Und die intensive Aufgeladenheit ihres Stoffwechsels inspiriert sie zu noch mehr Aufladung, und der Mund füllt sich mit Worten, die »Tequilla Sunrise«, »Doppelter Whisky« und irgendwann sogar »Barcardi Cola« lauten. Dann sitzt Solveig da und ist peinlich berührt von sich selbst. Viel lieber wäre sie berührt von irgendwem sonst. Sie trinkt sich die Minuten gedehnt.
    Die Cocktails, die in sie fließen, sollen ihr Leben von der Trauer ablenken, die eigentlich da ist, und eigentlich weiß Solveig genau, dass durch die intensive Alkoholzufuhr langfristig nichts besser wird. Aber es geht jetzt nicht um langfristige Maßnahmen. Ach, es schmeckt doch so fruchtig, so fruchtig, wie dieses Scheißleben, das ständig stinkt wie über das Verfallsdatum getretene Leberwurst, die irgendwo in der Sonne liegt und der Haare auf der Oberfläche wachsen und die schon fast danach strebt, einen eigenen Willen zu erlangen, also ein Leben, das so riecht, aus dem will sich die Solveig gerade frei trinken. Der Alkoholocaust bricht aus. Getränke, die Getränken folgen, folgen Getränken, die Getränken folgen. Die Realität wird immer blasser, Solveig immer schöner. Der Alkohol, der in ihre Blutbahn kriecht, ist wie eine fette, streichelbedürftige Katze, die einem um die Füße läuft und verheißt so etwas wie Gelassenheit. Sie trinkt sich besseren Momenten entgegen.
    Sie hat noch ein paar Bekannte angerufen, bevor ihre persönliche Alkoholapokalypse starten sollte, aber keiner hatte Zeit, sich ihrer anzunehmen, alle merkten sofort an ihrer merklich betrüblichen Stimmlage, dass da Probleme in ihr stattfinden, und wer geht schon gern mit Problemen aus. »Nee, der Pascal kommt heute Abend. DVD Abend und Kuscheln, aber wir können gern mal wieder Kaffee trinken.« Sogar die sonst partytechnisch schwer zu bändigende Jenny sagte, sie wolle lernen, denn so ein Studiumsabschluss

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