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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Isôt, wir haben dasselbe Profil«, sagte sie dabei leise und schloss für einen Moment die Augen.
    Sie hatte schon ihr Nachtgewand angelegt, das aus Italien stammen sollte und so fein gewebt war, dass sie darunter, auf der Haut ihres Schenkels, ihre Fingerkuppen spürte, die es berührten. Mit einem Seufzer richtete sie sich auf. »Anscheinend ist er doch nicht tot«, sagte sie, »aber so lange ich lebe, wird er dich nie belästigen, auch wenn er noch immer unverletzt ist.« Sie raffte ihr leichtes Gewand über die Hüfte auf und setzte sich im Nebenraum über den Abortus, wie es die Christen nannten, und urinierte, bis die Blase sich gänzlich entleert hatte. Wie es der christliche Priester ihr erklärt hatte, schüttete sie einen Holzeimer voll Wasser in das Loch, in das sie gerade gemacht hatte, und ging dann zu ihrer Bettstatt. Darauf streckte sie sich lang aus, zog das Fell, das über dem Leinentuch lag, bis zum Hals hinauf und war zufrieden. Diese Nacht würde sie gut schlafen können, dachte sie. Sie hatte alles getan, was sie hatte tun können. Den nordischen milites hatte sie ihren Lohn verpasst, Kiesel und Kupfer. Wunderbar, dachte sie, was heutzutage alles möglich ist, dass man Kupfer mit einer dünnen Schicht Silber überziehen kann. Die Täuschung, dachte sie, die Täuschung ist des Lebens Elixier. Bei diesem Gedanken schlief sie ein.
    Dorran saß währenddessen im Kellergewölbe eines nahe gelegenen Stifts, das die Mönche in einem Gehöft eingerichtet hatten. Im Abstand von 33 Schritten waren zur Befestigung um die Fundamente herum Mauern hochgezogen worden. Die Königin duldete das und befürwortete sogar das Führen einer bibliotheca, um dort libri und besiegelte Pergamentrollen mit ihren Erlassen zu deponieren. Isolde hatte davon gehört, dass solche Räume nun überall auf dem Festland und in Britannien installiert würden, und sich dazu entschlossen, in ihrem Erui das gleiche zu tun.
    Pater Benedictus hatte die Oberaufsicht über die bibliotheca. Er war ein mürrischer, etwas dicklicher Mann schon hoch in den Vierzigern. Die Gicht hatte seine Finger verbogen, die Knöchel waren wie Knorpel, aber wenn er eine Feder oder einen Griffel in der Hand hielt, setzte er die Buchstaben so schnell und sicher aufs Papier wie eine geübte Schneiderin mit der Nadel Stiche in den Stoff. Dorran traf ihn bei der Abschrift einer Chronik an, und es war ein Vergnügen, dem Mönch beim Schreiben zuzusehen. Deshalb unterbrach er ihn zunächst nicht, doch dann wurde ihm das Warten zu lang und er räusperte sich. Da erst bemerkte Bruder Benedictus, dass er Besuch bekommen hatte.
    »Ah, der Gehilfe unserer schönen Königin«, sagte er und wandte sich Dorran zu. »Was gibt es diesmal? Wieder ein neues Gesetz? Die Todesstrafe, wenn jemand einer Ziege die Milch abmelkt?«
    »Nein, nein!« Dorran musste lachen. Er wusste, dass Benedictus die Königin nicht besonders mochte, weil sie ihre Gebote gegenüber dem Volk, vor allem dem christianisierten, mit kalter Unerbittlichkeit durchsetzte. »Ich bringe Euch ein documentus, das der Königin in die Hände fiel. Ihr sollt es in unsere Sprache übersetzen.«
    »Eure Sprache?« Nun begann der Mönch zu lachen. »Sprache nennst du die Laute, mit denen ihr euch zu verständigen versucht? Gesprochen mag das noch gehen, aber geschrieben? Wie soll man diese kehligen Töne, das Gelalle und Gefiepe, das Zischen und Herausquetschen der Vokale mit Buchstaben darstellen? Und welche Sprache ist es denn überhaupt, die ich ihr übersetzen soll?«
    »Es sieht lateinisch aus.« Dorran hatte Courvenals Papyrusheft unter dem Mantel hervorgeholt und reichte es Pater Benedictus. Der warf einen kurzen Blick darauf, befühlte die Seiten, roch sogar daran, blätterte sie durch, hielt dabei immer wieder zögernd inne, versenkte sich für Augenblicke in die Schrift und sagte dann: »Melde deiner Königin, dass dieses Schriftstück eine narratio ist, da hat jemand aufgeschrieben, was er am Tage gemacht hat. Das übersetze ich ihr gern, wie es meine Pflicht ist, doch ich schreibe es nicht auf. Hier steht weder etwas Heiliges, noch ist es rechtlich von Interesse. Hier steht etwas über einen Knaben, den der Schreiber Tristan nennt. Er macht sich Gedanken über ihn, doch die sind mir meine Tinte und mein Pergament nicht wert. Wer das verfasst hat, muss ein kluger Mann gewesen sein, die Schrift ist flüssig und geübt, das Papyrus ist nicht für die Ewigkeit geschaffen und das Verfasste vor allem für die

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