Tristan
nichts vorzuwerfen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Sie haben vom Teufel gesprochen.«
»Das meine ich nicht.« Jetzt wandte sich die Frau zu ihm um. »Was sollen wir uns nicht vorwerfen?«
Nach seiner Ankunft im Gemach Isoldes war Dorran sofort auf die Knie gefallen, wie es sich gehörte, wenn man einer Königin gegenübertrat. Er durfte es nicht wagen, den Blick zu heben, als sie mit ihm zu sprechen begann, und das war ihm lieb so, denn er ertrug ihren Blick nicht. Er traf ihn manchmal aus diesen gläsernen, hellgrünblauen Augen, die ihm ein Frösteln verursachten. Vor einiger Zeit war ein fremdländischer fili bei ihr gewesen, ein Kerl, rund wie eine Kugel, und hatte lange mit der Königin gesprochen. Doch als er aus dem Palast trat, hielt er sich die Hand vor die Augen, nicht etwa, weil das Licht ihn blendete, sondern weil er den kalten Blick der Herrscherin nicht mit sich herumtragen wollte. Die Augen von Isôt, der Königin Tochter, waren hingegen ganz anders. Sie waren blau, wie der Himmel, und niemals grün, wie das Meer, dessen Tiefe niemand kannte. Unendlich tief musste das Meer sein, wer dort seine Seele verlor, wurde unweigerlich von Ungeheuern gefressen.
Dorran dachte nicht oft über diese Dinge nach. Als Isoldes erster Knappe hatte er meistens viel zu viel zu tun. Er kümmerte sich um die Zusammenkünfte, die seine Königin einberief, bestimmte, welche Kleider sie trug, ließ den Raum oder das Zelt herrichten, das eigens für solche Versammlungen aufgestellt wurde, und musste sogar kontrollieren, ob die Pflöcke, an denen die Stricke befestigt waren, halten würden, sollte ein Sturm losbrechen. Diesmal, bei der Begegnung mit den nordischen milites, die die Königin für ihren Auftrag gekauft hatte, war es sogar seine Aufgabe gewesen, vier Männer aus dem Volk auszusuchen, die sich als Druiden verkleiden sollten und schweigsam genug waren, über das Geschehen nie ein Wort zu verlieren. »Nie!«, hatte die Königin mit scharfer Stimme gefordert.
Also war Dorran losgezogen und hatte vier Männer gesucht, die taub waren. Einer davon war ein Freund seines Vaters. Da schien die enge Beziehung alle Erklärungen überflüssig zu machen. Dorran gab Coheen nur zu verstehen, dass er ihn brauchte. Und Coheen war zur Stelle. Bei den anderen dreien war es schwieriger gewesen. Auch ihnen konnte er nicht erklären, für welche Aufgabe sie ausgesucht worden waren. Aber ein halber Sack Korn, in einem Fall sogar ein Kalb von der Weide der Königin, machten sie fügsam.
Dorran, der als Kind aus Britannien nach Irland verschleppt worden war, machte das engstirnige Temperament der Inselbewohner oft wütend. Vor allem im Fall dieser vier tauben Druiden. Sie mussten ja nur dastehen, etwas Einfältiges singen und darauf warten, bis alles vorüber war. Die wirklichen Druiden, von deren Weissagung die Königin die Kenntnis hatte, dass dieser Tristan immer noch lebe, hatte Dorran nie gesehen. Er wagte auch nicht, weiter danach zu fragen. Er tat einfach, was seine Königin ihm auftrug, und fühlte sich ihr gegenüber doch frei genug, nun, da sie sich nach ihm umwandte, aufzustehen.
»Komm her!«, sagte sie zu ihm. Dorran näherte sich ihr mit Verbeugungen.
»Lass das!« Ihre Worte waren schneidend und eindeutig. Sie reichte ihm das Buch, das ihr Beitin gegeben hatte. »Finde heraus, wer uns diese lateinische Schrift entziffern und übersetzen kann. Geh zu diesen Christen, wegen mir auch das! Ich will wissen, was drinsteht. Eines habe ich schon selbst entdeckt. Es ist der Name des Kindes, nach dem ich suchen ließ: Tristan. Aber ich will alles wissen, alles ganz genau. Und nun geh! Ich muss mich zur Ruhe begeben und vorher noch nach meiner Tochter schauen. - Spätestens in drei Tagen sehe ich dich wieder.«
Berührungen ~105~ Angst
Isôt schlief schon tief und fest, als ihre Mutter in das Gemach trat. Isolde, Königin von Irland, wie sie sich nennen ließ, regierte über den Südosten der Insel, auf deren Untertanen sie sich verlassen konnte. Sie beugte sich über ihre Tochter Isôt, die in Wahrheit wie sie selbst Isolde hieß, und strich ihr über das lockige rotblonde Haar, fuhr ihr mit dem Mittelfinger die Stirn hinunter die leicht gebogene Nase entlang bis zum Absprung von der Nasenspitze und strich sich dann über das eigene Gesicht, über die Stirn, über Nasenwurzel und -rücken, der einen winzigen Höcker hatte, und berührte schließlich auch bei sich selbst die Nasenspitze. »Wir sind eins, Isolde und
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