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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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fuhr die Königin ihn an. »Das Kind muss von all dem nichts wissen. - Geh zu Eila, rasch!«, befahl sie Isôt in strengem Ton und wartete, bis ihre Tochter verschwunden war.
    Isôt trat daraufhin nur ein paar Schritte zurück, bis sie weder ihre Mutter noch den Mönch sehen konnte, und versteckte sich in den Falten des Vorhangs.
    »Fang endlich an!«, hörte sie ihre Mutter an den Pater gewandt sagen.
    »Zu Beginn ist in dem manuscriptus von einem Drachen die Rede, der Feuer spie. Den habe der Knabe mit seinem Schwert besiegt.«
    »Einen Drachen - mit einem Schwert?« Königin Isolde setzte sich aufrecht hin und starrte den Mönch an.
    »So steht es hier, meine Königin. Aber das ist ja nicht das letzte Wort. Der scriptor und der Knabe waren wohl in einem dunklen Wald, und der Mönch hatte ein Feuer gemacht, das der Knabe eben für einen Feuer speienden Drachen hielt.«
    »Das also ist es!« Isolde schien zufrieden.
    »Aber nicht alles. Denn obgleich der Junge den Irrtum oder seine Illusion schnell erkannt hat, schlug er trotzdem mit seinem Schwert auf das Feuer ein, als wäre es ein Drachen. Und er schien dabei mit dem Schwert so geschickt umgegangen zu sein, dass er es regelrecht tötete. Er erstickte mit seinen Hieben die Flammen, steht hier. Der Mönch ist erbost darüber, denn er wollte an dem Feuer sein nass gewordenes Habit trocknen und musste die fast erloschene Glut von Neuem entfachen. Über die Geschicklichkeit des Jungen ist er sehr erstaunt. Da auch nennt er zum ersten und einzigen Mal seinen Namen. Tristan, mein Tristan, schreibt er, welch fremde Kräfte wohnen in dir, dass du Macht hast darüber, ob ein Feuer brennt oder verlischt. Sind es göttliche Kräfte, sind sie des Teufels? Und wie deine Augen leuchteten. Als würde die Sonne in ihnen scheinen.«
    »Die Sonne in ihnen scheinen«, wiederholte Isolde die letzten Worte Benedictus’. »Das klingt merkwürdig.«
    »So aber steht es hier. Ich kann es Euch auf Lateinisch …«
    »Verschone mich!«, unterbrach ihn die Königin. »Berichte weiter!«
    »Bevor sie am nächsten Tag weiterritten, hat der Mönch wohl dem puer, also dem Knaben, beigebracht, wie man sich wäscht. Dem angeschlossen ist in seinem Bericht eine interessante Exkursion über die Reinlichkeit. Er regt sich darüber auf, wie wenig seine Zeitgenossen drauf achten, wie sie die saboon, die er aus Sizilien mitgebracht hat, benutzen, und wie sehr schöne Frauen versuchen, ihren in die Nase beißenden Körpergeruch, der vor allem von den Gegenden des Körpers herstamme, wo der Mensch Flüssigkeiten und Schleim ausscheide …«
    »Was soll das?«, unterbrach Isolde den Mönch, der immer nur in das Papyrusheft starrte. »Was erzählst du mir da?«
    »Nicht ich«, sagte Benedictus mit zurückgenommener Stimme, »dieser Mönch spricht darüber - Ihr wolltet doch alles hören, was auf diesen Seiten geschrieben steht.«
    »Ja, doch nur das, was den Jungen betrifft.«
    »Nun gut … also, hier steht, beim Waschen ist ihm eine goldene Kugel aus den Haaren vor die Füße gefallen …«
    »Was?«
    »Eine goldene Kugel, die der Mönch dann vor ihm versteckt hat. Dann sind sie weitergeritten.«
    »Was für eine goldene Kugel?«
    »Eine goldene Kugel eben, mehr steht da nicht, globus aureus. Sie wird auch später nicht wieder erwähnt.«
    »Und weiter?« Isolde stand ungeduldig auf. Sie trug ein einfaches Leinenhemd und darüber ein Mantelkleid. Benedictus sah für einen kurzen Augenblick die Form der Brüste seiner Königin und war verwirrt. »Weiter, ja, weiter«, wiederholte er und schaute wieder in das Papyrusheft. »Die beiden setzen also ihre Reise fort, und dabei gibt es einige bedenkenswerte Äußerungen des scribenten.«
    »Und die sind?« Königin Isolde ging auf den Durchgang zu, und Isôt, die noch immer hinter dem Vorhang stand, hörte ihre Schritte auf sich zukommen und hielt sich die Hand vor den Mund. Da wandte sich Isolde um und ging wieder zu ihrem Platz zurück.
    »Es ist die Rede von Hunden«, zitierte der Mönch, »die der Junge, als sie kläffend neben den Pferden herliefen, plötzlich verstummen machte und die zurückblieben, als kenne der Knabe, so reflektiert der Schreiber, die Sprache der Tiere. Es hätten sich auch Schmetterlinge auf seine Hände gesetzt, und Libellen hätten sie auf ihrem Ritt begleitet über viele Meilen hinweg, wobei nicht festzustellen war, ob es immer dieselben Libellen waren oder nur Artgenossen, die sich gleichsam ablösten. Auffällig sei aber auch

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