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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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mächtigen Mann und sang sie mit seiner hellen Stimme mit.
    Da Courvenal die Speyerer Wochen nutzte, eine Übersetzung der Oden Ovids anzufertigen, kümmerte er sich nicht weiter als nötig um Tristan. Thomas, der bei den Pferden schlief, lungerte tagsüber oft auf der Gasse herum, sprach seine Fürbitten im Dom und verkaufte oder tauschte zwischen den Säulen eifrig Kleinode wie Kämme, Lederriemen oder Fibeln, die er billig ergattert hatte und um ein wenig mehr Wert weiterverkaufen konnte. Besonders wenn ein Unwetter herrschte oder es heftig regnete, kamen die Leute in die Kathedrale und nahmen dorthin auch ihre Ziegen und Hühnerkäfige mit. Dann schallten in den Gewölben die Stimmen und Rufe, das Gemecker und Geschrei der Tiere.
    Nella folgte während dieser Zeit ihrem Herrn auf Schritt und Tritt, wartete brav vor dem Eingang zu Alfreds Schmiede oder vor dem Portal des bischöflichen Scriptoriums. Dort verbrachte Tristan die wenigste Zeit. Er verstand es durch seine Geschicklichkeit im Lesen und Zusammenfassen von heiligen Texten, die ihm vorgelegt wurden, das Pensum seiner reputationis so schnell zu bewältigen, dass ihn die Mönche schon bald wieder entließen, froh darüber, von dem Knaben nicht zu weiteren Aufgaben herausgefordert zu werden, um die sie sich zusätzlich hätten kümmern müssen. Tristan nutzte die Gelegenheit, um zu Alfred zu eilen. Nella wusste schon nach ein paar Tagen, wohin er wollte, und rannte voraus am Domportal vorbei zur Judengasse hin. Beim Schmied angekommen, setzte sie sich vor dem Tor nieder, sah mit hechelnder Zunge Tristan heranlaufen, und kaum war der im Eingang verschwunden, rollte sich die Hündin zusammen und wartete wieder geduldig.
    Alfred leitete seinen jungen Schüler schon bald zu eigener Arbeit an. Fernand, einer der beiden Gehilfen, zeigte ihm die Handhabung des Blasebalgs und erklärte ihm die Färbung der Holzkohlenglut. Fernand, der nur Französisch sprach, führte Tristans Arm, um ihm die richtige Haltung beim Schlagen glühenden Eisens beizubringen. Alfred selbst übernahm es nach ein, zwei Wochen, den Jungen in die Kunst des Schmiedens einzuweisen. Manchmal tat er das, indem er seine Erklärungen vor sich hin sang. Wenn Tristan selbst an der Reihe war, allein eine Sichel oder ein kleines Messer zu schmieden, wiederholte er die Lieder Alfreds, als wäre er mit ihnen aufgewachsen. Beim Schlagen des glühenden Eisens verhielt er sich dabei so geschickt, dass Alfred seinen Lehrjungen vor Courvenal nur loben konnte. »Es fehlt ihm noch die männliche Kraft für den Hammer«, sagte er, »aber er hat ein Feingefühl für die Sprödigkeit des Eisens in den Händen, wie man es selten erlebt.«
    Nach sechs Wochen dieser Lehrzeit war Tristan schon so weit, mithilfe seines Meisters sein erstes Schwert zu schmieden. Alfred hatte den Schaft vorbereitet, ein zweites, härteres Eisen darübergelegt, beides ineinander verschmolzen, die Klinge durch kräftige Schläge lang gezogen und verdünnt und dann das Eisen wieder in die Esse gegeben, die Fernand noch einmal zu weißer Glut brachte. Tristan konnte nicht hineinsehen, so sehr blendete die Hitze. Alfred nahm das Eisen heraus, drückte es dem Jungen in die mit Wollfetzen umwickelte Hand und sagte nur: »Jetzt schmiede dir dein eigenes Schwert!«
    Tristan legte die glühende Klinge auf den eisernen Block, den anaboz. In der rechten Hand hielt er den Hammer, klopfte aber nicht gleich darauf los. Er begann zu singen - eines dieser kräftigen, lauten Lieder Alfreds:
    Dich Eisen schlag ich,
    ein anderes verschon ich,
    ein Schlag soll dich biegen,
    ein anderer in Frieden wiegen …
    Tristan sang dieses Lied mit seiner hohen, hellen Knabenstimme. Es war wie ein Lobgesang, als würde er das glühende Eisen umjubeln. Er merkte nicht, dass Courvenal, den Alfred hatte rufen lassen, dazugetreten war, er sah nicht, dass Nella zwischen Alfred und Courvenal saß und mit ihrem Schweif über den Boden wischte. Er traf mit den Worten seines knabenhaften Gesangs auf die Ränder des Eisens und dengelte es in einem unaufhörlichen Rhythmus mit solcher Präzision und Gleichmäßigkeit, dass zwei Schneiden entstanden, die schärfer nicht sein konnten.
    Du sollst mir Leben schenken,
    bevor das Leben mir genommen, im Tod wird’ ich dich nur versenken, wenn ich das Leben hab gewonnen.
    »Ich habe etwas Derartiges nie zuvor erlebt«, sagte Alfred zu Courvenal, als er die im Wasser erloschene Schwertschneide in den Händen hielt. »Und ich werde für

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