Tristan
die nähere Umgebung zu erkunden. Schließlich hatten sie ja jemand an ihrer Seite, der sich um die Übernachtung sorgte. Doppelt ärgerte ihn allerdings, dass er seit Tagen nichts mehr von Nella gesehen und gehört hatte.
»Ich geh und suche ein paar Pilze oder schieße uns einen Hasen«, sagte er zu Thomas.
»Pass auf die Drachen auf!«, neckte ihn der junge Mann und fügte hinzu: »Oder nimm ein Wollknäuel mit, falls du dich verirrst.«
Tristan lachte und lief zum Gebüsch vor dem Waldrand. Dort verschwand er und kam nicht wieder.
Kaum war die Sonne untergegangen, bekam es Courvenal mit der Angst zu tun. Er besprach sich mit Thomas, und beide scherten in den Wald aus, immer nach Tristan rufend. Nach langer Zeit trafen sie sich wieder vor dem Zelt beim Feuer, das zu einem Gluthaufen zusammengesunken war. Courvenal spürte im Herzen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, Tristan würde gewiss bald auftauchen. Thomas aber trat ihm gegenüber, und er sah, dass dem Jungen die Tränen aus den Augen liefen.
Da erschrak Courvenal. »Was ist geschehen?«
Thomas konnte nicht antworten. Seine Lippen zitterten, er umarmte den Mönch und verhielt sich so, als hätte er einen allernächsten Verwandten verloren. Courvenal tröstete ihn und fragte wieder, was mit ihm sei.
»Ich liebe ihn«, brach es aus Thomas heraus, und er schien voller Verzweiflung.
Courvenal spürte den Schmerz des Klosterschülers und drückte ihn an sich. »Er liebt dich auch«, sagte er leise, »aber nicht so wie du ihn. Er ist noch ein Kind, und Kinder soll man nicht verführen. Suche dir Deinesgleichen in deinem Alter oder in Häusern der Klosterbrüder. Sei, wie du bist, aber forme andere nicht nach deinem Willen. Denn was du willst, das weißt du nicht. Du weißt nur, was du nicht willst, und keiner wird dir dabei helfen, dich in deinen Wünschen umzustimmen. Wenn du bei uns bleiben möchtest, halte dich von Tristan zurück. Er ist dein Herr, so jung er auch sein mag, und ich schneide dir die Kehle durch, solltest du ihm auch nur ein einziges Wehe tun.«
Mit diesen, immer noch Thomas leise ins Ohr gesprochenen Worten entließ er den jungen schluchzenden Mann aus der Umarmung und erblickte im selben Moment Tristan. Der stand aufrecht und freudestrahlend vor ihnen und deutete triumphierend auf den Hund, der hechelnd neben ihm saß. »Sie ist mir all die Tage gefolgt, ohne dass ich es merkte«, sagte er. »Doch im Wald hat sie auf mich gewartet, und von nun an wird sie mir nicht mehr von der Seite weichen. So bestimme ich es als ältester Sohn des Marschalls von Conoêl und zukünftiger Verwalter Parmeniens.«
Schutz ~123 ~ Staunen
Nie zuvor hatte Courvenal Tristan so entschieden zu ihm sprechen hören. Der bestimmende, fast verletzende Ton hätte ihn eigentlich entrüsten müssen. Doch Courvenal verzog keine Miene, schaute mit ernstem Gesicht erst auf den Jungen, dann auf den Hund. Innerlich musste er allerdings lächeln und freute sich über den Mut des Jungen. Voller Zufriedenheit sah er nun mit an, dass Nella nicht mehr von der Seite ihres jungen Herrn wich und für Tristan weit wichtiger zu sein schien als der Gehilfe Thomas. Im Gegensatz zu allen vorherigen Tagen verkehrte sich sogar das Verhältnis zwischen den beiden. Wenn Thomas zu Tristan mit dem Pferd aufschloss und sich ihm gar mit der Hand näherte, wurde die Hündin eifersüchtig und begann zu knurren. Tristan befahl nicht etwa Nella, Ruhe zu geben, sondern verwies den Gehilfen auf seinen Platz. »Bleib hinten bei dem Packpferd!«, forderte er ihn auf. »Da sind ein paar Dinge in den Taschen, mit denen man äußerst behutsam umgehen muss. Achte darauf, dass sich das Pferd nirgendwo verletzt oder stößt.«
Courvenal, der solche Verweise voller Genugtuung mitanhörte, wusste, worum es Tristan ging. Bei ihrem Aufenthalt in Colonia hatten sie eine kleine Werkstatt besucht, die Gläser herstellte. Um einen blauen Trinkbecher hatte ein Meister mit großer Kunstfertigkeit einen gelben gläsernen Faden gezogen und aufgelegt, sodass der Junge glaubte, ein Wunderwerk in den Händen zu halten, als man ihm das Gefäß zum Anschauen gab. Es stammte aus der Bestellung einer Serie von Gläsern für ein Bistum im Bairischen. Als der Meister sah, wie sehr sich der Junge daran freute und es mit einer Vorsicht in seinen Händen hielt, als hätten sie selbst es gefertigt, machte er es ihm zum Geschenk. Tristan freute sich über alle Maßen, aber Courvenal wollte für ihn die Gabe
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