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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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verdunkeln, und wir vertrauen uns selbst nicht mehr. Was soll ich nur tun?
     
    Ohne Zunge leben? ~ 127 ~ Köhler und Muselmane
     
    Die Beunruhigung, die Courvenal verspürte, machte ihn schweigsam. Er hatte Thomas nicht bestraft, ihm nicht einmal eine Strafe angedroht. Er beachtete ihn kaum noch, gab nur Anordnungen, was er tun sollte.
    Tristan spürte Courvenals Verstimmung, kam aber leicht darüber hinweg, kaum dass sie aus dem ihm endlos erscheinenden Tannenwald herausgeritten waren und den großen See vor sich liegen sahen. Das Wasser erinnerte ihn an seine Heimat und machte ihn wehmütig. Er begann, von seiner Mutter und von Conoêl zu sprechen. Auf dem Ritt die Hügel hinunter sang er Lieder, erst einige, die er bei Alfred gelernt hatte, dann solche, die er aus seinen Kindertagen kannte und die ihm Elbeth und Merla gesungen hatten. Elbeth, die nie mehr wieder würde singen können. Vielleicht lebte sie ja auch schon nicht mehr. Wie konnte man ohne Zunge leben?
    Der Junge schüttelte sich bei dem Gedanken. Er hatte auch gehört, wie Courvenal leise und sehr bestimmt zu Thomas gesagt hatte, dass er ihm die Hand abschlagen würde, wenn er nur noch ein einziges Mal versuchen würde, etwas aus den Beuteln oder Taschen zu nehmen, das ihm nicht gehörte. Die Hand abschlagen! Tristan schauderte. Er besaß jetzt ein Schwert, mit dem dies wahrscheinlich ein Leichtes wäre, weil seine Klinge so scharf war. Ein Schwert, das er selbst und allein geschmiedet hatte! Und die Köhlerhütten, an denen sie im Wald vorbeigeritten waren, Frauen und Kinder davor, die bettelnd ihre Hand ausstreckten, in Fetzen gekleidet, der Köhler mit pechschwarzen Händen und Armen bis zu den Schultern hinauf, schweigend und ernst wie die Tannen! Wenn er sich die goldene Kugel in solch einer schwarzen Hand vorstellte, was wäre das für ein Bild!
    Schnell trieb er sein Pferd an und ritt der Gruppe voraus, obwohl Courvenal es verboten hatte. Doch ihm war das gleichgültig. Er konnte solche Bilder nicht ertragen! Er sah das blaue Wasser des Sees und hielt darauf zu. Leider war mit dem Erreichen des Wassers das Ziel, Constantia, noch immer nicht nah. Der Umweg, den Courvenal gewählt hatte, zwang sie dazu, den See zu umreiten, da die Stadt am anderen Ufer lag. Das dauerte mehr als drei Tage, drei besonders stille Tage. Courvenal sprach mit Thomas währenddessen kaum ein Wort, sagte nur »abladen, Pferde versorgen, Zelt aufschlagen, Wasser holen«. Und Tristan glich sich seinem Lehrer an. Nella blieb bei ihrem jungen Herrn und bellte kaum, da ihnen weder Pilger noch Reiter begegneten, noch Gehöfte am Wegrand lagen.
    Dies änderte sich erst, als sie der freien Bischofsstadt nahe kamen und auf den Hauptreiseweg trafen, der auch von Wagen befahren wurde. Ganze Horden von Reitern waren dort unterwegs, die weiter gen Süden zogen zum Krieg gegen die Muselmanen, die Jerusalem erobern wollten. Tristan fragte Courvenal darüber aus und ob er denn selbst schon den Geburtsort von dem krist gesehen habe. Er habe nur davon gehört, sagte der Mönch. »Was denn?«, wollte Tristan wissen. - »Es wachsen dort Palmen, und es gibt Pferde, die anstelle eines Sattels einen Höcker haben.« - Courvenal musste daraufhin erklären, was eine Palme sei und ein Höcker.
    »Ist denn die Welt so groß?«, fragte Tristan.
    »Wir wissen nicht, wie groß sie ist. Aber sie ist von Wasser umschlossen.«
    »Und was ist hinter dem Wasser?«
    »Es fließt unter unseren Füßen hindurch und kommt auf der anderen Seite der Welt wieder heraus.«
    Tristan schwieg. Er versuchte, sich die Welt als einen Tisch vorzustellen, auf dem ein Krug mit Wasser umgefallen war. Das Wasser floss an der Tischkante hinunter und tropfte auf den Boden. Wie sollte es unter dem Tisch entlanglaufen und auf der anderen Seite wieder hervorkommen?
    »Die Welt muss rund sein wie ein Ball«, sagte er unvermittelt.
    »Wie kommst du darauf?« Courvenal riss vor Schreck am Zügel seines Pferdes.
    Diese Reaktion ließ Tristan an seinen eigenen Worten zweifeln. Die Bälle, die er zum Spielen hatte, waren nicht wirklich rund. Sie waren aus Heu zusammengewickelt, aus Stoffresten, mit Binsen umschnürt, eingedellt, unförmig.
    »Aber die goldene Kugel, die Ihr im Gepäck habt«, sagte er mit einem Mal, »die könnte so aussehen wie die Welt. Wenn man da Wasser draufgießt, dann fließt es um sie herum, wenn man sie in einen Bach legt, ist sie überall nass.«
    »Was machst du dir für Gedanken?«, beschwichtigte ihn

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