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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Wenn ein Reiter auftauchte mit Speer oder Lanze und Schwert, mit Dolch am Gurt und einem Hund an der Seite, flohen sie in den Wald und verbargen sich hinter Bäumen wie Krieger hinter ihren Schildern. Die Kinder schrien nicht, wenn sie flüchteten, sie huschten davon und verschwanden im Zwielicht des Waldes. »Sie sind anders als wir«, sagte Courvenal zu Tristan, als sie durch diesen Wald, durch Schluchten und über Pfade ritten, die von nackten Füßen ausgetreten waren und nicht von den Hufen der Pferde. Da Nella bellend und knurrend anfangs hinter allem her war, was vor ihr wegrannte, versuchte Tristan die Hündin wie ein Pferd zu zügeln und sie durch Befehle bei sich zu halten.
    Wie der Junge mit dem Hund umging, gefiel Courvenal besonders gut. Ohne darauf zu achten, lernte er, bestimmend zu sein, wo es notwendig war, um etwa anderen nicht einen unnötigen Schrecken zuzufügen. Andererseits verstand er auch allmählich, dass Nella bisweilen aus dem Instinkt heraus reagierte und andere bedrohte, ohne die Regeln, die ihr Tristan beigebracht hatte, zu berücksichtigen. Dann schimpfte der Junge mit dem Tier. Courvenal saß auf seinem Pferd und sah sich dieses Schauspiel mit Vergnügen an. Thomas, immer etwas abseits, empfand Schadenfreude und konnte sich nicht enthalten, ebenfalls darüber zu lächeln, wie sich sein junger Herr damit abmühte, mit seiner Hündin fertig zu werden, indem er sie durch Befehle zwang, sich zu setzen, ihm im Schritt zu folgen, Knochen, die er Nella vor die Schnauze legte, nicht zu berühren, und andere, die weit entfernt lagen, zu ihm zu bringen und ihm vor die Füße zu legen.
    Thomas fand dies alles belustigend, er verstand es nicht. Doch dann gab es einen Abend, da Tristan sich bei einem Bach waschen wollte. Sie waren noch immer mitten in dem großen Wald, wiewohl Courvenal erklärt hatte, er müsse jetzt bald zu Ende sein und ein See müsse in Sicht kommen so groß wie ein Meer. Tristan verlangte von seinem Lehrer die saboon, und Courvenal holte das Kästchen aus seinem Gepäck hervor, um Tristan die arabische Seife zu geben. Dabei rollte die goldene Kugel heraus und fiel auf den Kiesgrund am Bach. Sie leuchtete wie eine Lampe in der Nacht. Courvenal nahm sie schnell auf, steckte sie weg und bedachte nicht, dass Thomas sie gesehen haben könnte. Tristan wusch sich mit der saboon, spülte sich mit einem Becher klaren Wassers Kopf und Schultern ab und verkroch sich auf sein Lager. Nella kam gleich zu ihm und rollte sich neben ihm ein.
    Die Nacht begann. Thomas hatte das Gold gesehen, seine Augen schienen noch davon zu leuchten. Er konnte nicht schlafen. Wenn er dieses Gold besitzen würde, dachte er, und da er ja auch das Pferd hätte, auf dem er den beiden folgte, könnte er mit der Kugel fortreiten, sie zu Münzen machen und wäre ein freier Mann. Obwohl ihm fast die Augen zufielen, hielt er sich wach, bis er Courvenal und auch den jungen Tristan mit so ruhigen Atemzügen schlafen hörte, dass er es wagte, unter seinen Decken hervorzukriechen und sich auf allen vieren den Säcken zu nähern, in denen Courvenal seine Sachen verstaute. Kaum war er dort angelangt, hörte er ein Knurren neben sich. Thomas erstarrte in der Bewegung, den ersten der Säcke zu öffnen. Nella begann zu bellen, Courvenal erwachte und gleich darauf Tristan. Courvenal warf Reisig in die Glut des Feuers, das aufloderte, und sah Thomas bei seinem Gepäck kauern. Ein, zwei Reiser mehr machten diesen nächtlichen Schattenriss, wie Courvenal später in sein Heft notierte, zu einer alltäglichen Posse.
    Nella passt auf, schrieb er weiter, aber die Hündin ist mir gleichwohl noch immer ungeheuer. Ein Hund ist nur gut für die Jagd. Dieses Tier jedoch entstammt aus einem Bestiarium. Es schleicht uns hinterher und ist uns zugleich voraus. Nella belauert uns, wie auch der Knecht. Was soll ich nur mit ihm tun? Zurückschicken kann ich ihn nicht, dann ist er für alle Zeit verloren. Habgier kann man niemandem abgewöhnen, auch durch educatio nicht. Wenn er noch einmal seine Hand ausstreckt nach etwas, das ihm nicht gehört, lasse ich sie ihm abschlagen. Vielleicht kann ich ihn in Bobbio lassen oder in Montecassino. Dort kann er helfen, Gärten zu pflegen. Die Natur kann man nicht bestehlen, sie widersetzt sich dem Besitz. Und Gott verteidigt sein einziges Hab und Gut. Es ist wie mit dem Licht der Sonne. Wir haben es uns auf die Erde geholt, doch wir beherrschen es nicht. Ein einziger trüber Strahl kann unsere Seele

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