Tristan
Euren Zögling an das Ende einen Griff schmieden, den er mit beiden Händen umfassen kann. So wird er sein erstes Schwert besser führen können. Der Gesang aber war es, der das Eisen so geschmeidig machte. Tristan mag ein edler Ritter werden. Noch besser aber wird er sein, ihn dazu zu bringen, seine Stimme auszubilden - wenn es an der Zeit ist.«
Halluzination ~ 125 ~ Das eigene Schwert
Courvenal hatte dem Schmiedevorgang des Schwertes zugesehen, so wie er in seinen jungen Jahren im Klostergarten von Atuli die Entpuppung einer Raupe beobachtet hatte, aus der ein Schmetterling schlüpfte. Wie damals war er nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Am Abend schrieb er in sein Heft:
Mein junger Herr ist auch noch ein begnadeter Schmied geworden! Lesen kann er schon alles, streitet sich mit den Mönchen über die Auslegung des Alten Testaments, zitierte neulich nach der Andacht am Tisch des Morgenmahls Verse von Hartmann von der Aue, die er in einem beigebundenen Heft zu einer Bischofsvita gefunden hatte, und verlangte von mir, dass siein ein pergamentenes Kirchenbuch aufgenommen werden müssten, um nicht verloren zu gehen. Als ich Tristanfragte, wieerdenn daraufkäme, dass dies geschehen solle, antwortete er mir mit seiner hellen Knabenstimme, von Geburt an würde alles verloren gehen - nur die Trugbilder nicht. - Was denn das Leben mit Trugbildern zu tun habe, wollte ich wissen. - Wir seien dazu geboren, diese zu haben von Kindheit an, sagte er. - Ich schwieg darüber.
Beim scheinbaren Widerhall dieses Schweigens schlug Courvenal sein Heft zu und beendete für diesen Abend seine Notate. Bevor sie schließlich Speyer verließen, händigte Alfred, der Schmied, Tristan dessen selbst gefertigtes Schwert aus. Er hatte es mit einem schlanken Griff versehen, den die schmalen Hände ebenso gut umgreifen konnten wie die eines Erwachsenen. Courvenal war begeistert davon und schwang das Schwert durch die Luft. »Zwei Hände sind viel kräftiger als eine«, rief er aus. »Alfred, du hast ein neues Schwert geschaffen!«
Der Schmied beruhigte Courvenal, so etwas gebe es sicher schon, darum gehe es auch nicht, die Schneide sei das Wichtigste. Er warf einen Reisigzweig in die Luft, schlug mit dem Schwert danach, und als hätte das Eisen das Reisig nicht berührt, fiel es zu Boden - geteilt in zwei Stücke. »Damit könnt Ihr Euch den Bart rasieren«, sagte Alfred zu Courvenal. Der Mönch, dessen Kinn und Wangen von Natur aus fast frei von Haarwuchs waren, tat so, als hätte er die Worte nicht gehört. Er drängte zum Aufbruch, verstaute die Waffe und stieg auf sein Pferd. Doch Tristan verabschiedete sich noch von Alfred, versuchte, diesen Klotz von Mensch zu umarmen, und versprach ihm, ihn nie zu vergessen. Thomas, der die Szene vom Rücken seines Pferdes aus unwillig beobachtete, war froh, dass ihr Aufenthalt in Speyer vorbei war. Endlich sollte es weitergehen, nach Süden, nach Constantia zum Fest der Darbietungen.
Der schwarze Wald ~ 126 ~ Nella wacht
Die Reise von Speyer nach Constantia würde viele Wochen dauern. In Freiburg wollten sie haltmachen und von da, wenn das Wetter es zuließ, durch den Wald reiten, vorbei an Köhlerhütten, von denen das schwarze Gold kam, das die Glut entfachte, um Schwerter zu schmieden und Bronze zu gießen. Sie hätten auch immer längs des rhin bleiben können. Aber Courvenal wich von dem etwas leichteren Weg ab und führte sie die Berge hinauf, um dem Jungen zu zeigen, wie die Menschen außerhalb der Städte lebten, die nie zuvor Kathedralen und Schmieden, mit Steinplatten ausgelegte Plätze und Häuser mit gemauerten Wänden gesehen hatten. Wasser floss bei ihnen in steilen Bächen zu Tal, so etwas wie Rinnen und Tröge, in denen man es auffing, gab es für sie nicht. Bücher aus Pergament, Schreibkiele aus afrikanischem Rohr, wie die Mönche sie besaßen, waren unvorstellbar und erschienen ihnen nutzlos. Lesen und Schreiben - wozu sollten sie das brauchen? Ihr Tag begann damit, dass es hell wurde, und mit dem Dunkelwerden endete er. Eine Weile noch saßen sie um ein Feuer herum, erzählten eine Geschichte, die aus ihren Träumen stammte oder von ihren Vorfahren, dann legten sie sich auf das getrocknete Gras, über das sie grob gewebte Tücher gelegt hatten, oder deckten sich mit Fellen zu, zusammengenäht mit dicken Fäden und Nadeln, die vielleicht Alfred, der Schmied, gefertigt hatte. Die tauschten sie gegen Wildfleisch, das sie durch Fallenstellen erbeutet hatten.
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