Tristan
Courvenal. »Siehst du nicht das Wasser des Sees, wie gerade und eben es vor uns liegt? Gott schuf den Himmel und die Erde, heißt es im Testament. Nirgendwo steht, dass er eine Kugel geschaffen hat.«
»Warum gibt es sie dann?«
»Was?« Courvenal wurde ungeduldig. Die Fragen schienen ihm allzu kindlich. Er erwartete mehr von seinem Schüler. »Die Kugel!«
»Es gibt auch …« Courvenal zögerte, griff in die Zügel seines Pferdes und spürte, dass ihm nichts Sinnvolles einfiel. »Es gibt auch nebula, den Nebel«, sagte er schließlich. »Wie ich es selbst erlebt habe, auch an diesem See. Und zwar sehr oft. Vor allem in der kälteren Jahreszeit.«
Nebel? Das Wort kannte Tristan nicht. Wolken auf der Erde, erklärte ihm Courvenal. Wolken, die fallen oder steigen.
»Und jetzt«, unterbrach er das Gespräch, »jetzt reiten wir gleich durch das Stadttor ein. Da sagst du bitte nichts von >Welt< und >Nebel< und >goldener Kugel<, hältst Nella schön an deiner Seite, und Thomas« - Courvenal wandte sich um - »Thomas spricht kein einziges Wort, wenn wir zu den Wachen kommen - ist das klar?«
Thomas nickte nur. Er hatte die ganzen letzten Tage seit seinem Versuch, die goldene Kugel an sich zu bringen, kaum mehr ein Wort gesagt. Doch die Kugel war seitdem in seinem Kopf und kam da auch nicht mehr heraus. Wenn er Courvenal vor sich herreiten sah oder den jungen Tristan auf seinem halbhohen Ross, konzentrierte sich sein Blick auf die Seitentaschen, die an den Flanken der Pferde baumelten. In einer von ihnen musste diese goldene Kugel sein, pures Gold, wie Thomas sich einbildete. Und Nella sah er auch, die ständig neben Tristan herlief und zu ihm aufschaute, als hätte sie ihm ihr Leben zu verdanken. Diesen unterwürfigen Hundeblick konnte er nicht ertragen.
Thomas verzögerte die Gangart seines Pferdes und kam am Tor an, als Courvenal, Tristan und Nella schon jenseits der Wache auf ihn warteten. Man ließ ihn durch, ohne den Inhalt der Taschen des Packpferdes zu überprüfen, weil Courvenal abfällig über die Faulheit des Knechts geredet hatte und Eile vortäuschte, da sie den Anfang des Fests der Spielleute nicht verpassen wollten. Die Wachen, froh darüber, bei all dem fahrenden Volk und den zwielichtigen Gestalten, die nach Constantia strömten, mit einem vertrauenswürdigen Mönch zu sprechen, trieben Thomas sogar zur Eile an, das Tor zu passieren. Dass er so behandelt wurde, ärgerte den Burschen besonders, und er überlegte, ob er nicht preisgeben sollte, dass der Mönch Gold bei sich hatte. Doch dann verwarf er den Gedanken. Er hätte sich nur selbst geschadet. Denn das Gold sollte, das schwor er sich, einst ihm gehören! Da ritten Courvenal und Tristan schon voraus in Richtung einer der Gassen zum Kloster Laurentis, das der Barmherzigen Frauen, es lag direkt am See. Dort hatte Courvenal durch einen Kurier schon von Magdeburg aus eine Unterkunft bestellt. Weil aber wegen der Festtage so viele Fremde in der Stadt waren, mussten sich Lehrer und Schüler eine Kammer teilen, und Courvenal musste im Voraus den Zins bezahlen, der für eine Anzahl von zehn Tagen veranschlagt wurde. Thomas blieb bei den Pferden im Stall.
Der Mutterbrief ~ 128 ~ »Drystan«
Angelina, die Äbtissin, war hocherfreut, Courvenal und Tristan begrüßen zu , können. Seit Tagen habe sie auf die beiden gewartet. Und bereits vor einem Monat sei ein briefliches Schreiben für den kleinen Herrn angekommen. Die Frau war vom Scheitel bis zu den Füßen in schwarzes Tuch gekleidet, sodass ihr Gesicht als der einzige Teil ihrer Person wie aus einem Fenster heraus fast zu leuchten schien und die blassen Hände auf Tristan wie an den Ärmeln angenäht wirkten. Aus einer Falte ihres Kleids zog sie ein nur handtellergroß gefaltetes Stück Papier hervor.
»Von deiner Mutter«, sagte sie freundlich, blickte Tristan aus lächelnden Augen an und hob den Arm, um das Blatt Courvenal zu geben.
Der wehrte ab und sagte: »Nein, nein, Mutter Angelina! Der Junge kann besser die Schrift lesen als wir beide zusammen. Gebt es ihm nur! Er liest sogar die alten Griechen und kennt schon vier Sprachen. Wenn Ihr ihn noch die Eure lehrt, sind es fünf, und wenn ich daran denke, durch wie viele Länder wir noch ziehen wollen, werde ich sie wohl bald nicht mehr zählen können. Gebt ihm nur selbst den Brief. Er wird ihn schon entziffern können!«
Das tat Tristan erst, als sein Meister, wie Tristan Courvenal für sich nannte, und er ihre mit drei Lagerstätten
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