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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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diesen Worten gab er Courvenal den Brief zurück und beobachtete seinen Lehrer, dessen Augen nun über die wenigen langen Zeilen huschten, manchmal sich über Worte auch zurückzutasten schienen, um ruckartig wieder an eine andere Stelle zu wechseln. Einmal, kurz bevor Courvenal Tristan den Brief wieder in die Hände legte, schienen die Augen des Meisters wie angehalten in ihrer Bewegung, die Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, als hätte der Blick etwas Gefährliches entdeckt. Doch dann sagte Courvenal: »Wie schön und liebreich von deiner Mutter. Vollmond ist übrigens in zwei Tagen, und dann beginnt auch das große Fest hier in dieser Stadt. Da werden wir einiges erleben. Du wirst sehen, wie Ritter miteinander kämpfen können, aber es haben sich auch ganz besondere Troubadoure und Barden angesagt. Es soll sogar Arnold van Ambachten mit seiner Truppe hier sein, um den Renärt vorzuspielen.«
    »Den Renärt?« Tristan horchte auf und faltete, ohne hinzuschauen, den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche seiner Kutte.
    »Etwas ganz Besonderes.« Courvenal verschränkte die Arme, wie er es sonst immer tat, wenn er nachdenklich war. »Auch ich habe nur davon gehört«, sagte er. »Der Roman de Renärt heißt er im Französischen, vielleicht erleben wir auch eine lateinische Fassung. Da wirst du erfahren, wie schön es ist, sich in der Welt der Sprachen zu bewegen, wie es der Fisch im Wasser tut. Ich werde gleich die Äbtissin fragen, wo das Spektakel stattfinden soll. Du gehst am besten auf unser Zimmer, da treffe ich dich dann. Auf keinen Fall verlässt du diese Mauern, auch nicht um Nella Futter zu geben. Thomas sorgt für sie. Sei also unbesorgt.«
    Bei den letzten Worten war Courvenal schon aufgestanden. Dann eilte er davon. Tristan blieb verwundert am Tisch zurück, aß noch ein Stück Brot, nahm etwas vom Käse und ging aufs Zimmer. Was sollte diese Eile des Aufbruchs? Warum der Befehl, die Mauern nicht zu verlassen? Es war noch hell, und so konnte er unter dem Fenster den Brief noch einmal lesen. Schon bald kannte er jedes Wort und brauchte das Blatt nicht mehr, schlug es trotzdem immer wieder auf, um sich seinen eigenen, ihm fremd erscheinenden Namen anzuschauen, der da geschrieben stand: Drystan.
     
    Verdacht ~ 129 ~ SoeurBeata
     
    »Wer hat den Brief für Tristan abgegeben?«, war die erste Frage, die Courvenal der Äbtissin stellte, kaum dass er ihren karg eingerichteten Raum betreten hatte.
    »Warum seid Ihr so aufgeregt?«, wollte Angelina wissen.
    »Wäre ich es nicht, wäre ich nicht hier.«
    »Ich habe das Schreiben nicht in Empfang genommen.«
    »Wer dann?«
    »Die Pförtnerin - Beata.«
    »Lasst sie kommen!« Courvenal redete bestimmt, und die Frau ahnte, dass er nicht ohne Grund so fordernd auftrat. Sie schickte nach Beata. Eine junge Ordensschwester kam und erzählte brav und glaubwürdig, dass zwei junge Männer vor der Pforte gestanden hätten. Ihre Sprache hätte sie nicht gleich verstanden, doch es ging um einen »Tristan«, für den sie einen Brief bei sich hätten. Sie seien von weit her gekommen, um diesen Brief abzuliefern. Und da Beata von der Äbtissin wusste, dass der Benediktiner Courvenal und sein discipulus Tristan erwartet wurden, habe sie, hoffentlich nicht im Unrecht, dieses Schreiben angenommen. Die Pforte sei dabei verschlossen geblieben.
    »Ihre Namen haben die beiden nicht genannt?«, wollte Courvenal wissen.
    »Das haben sie nicht, sie verschwanden gleich wieder. Doch danach klopfte es erneut. Noch ein Mann, der mir unbekannt war, stand vor der Tür. Er sagte, er heiße Dorran oder Denno, das konnte ich nicht genau verstehen. Was er wolle, fragte ich. - Was die anderen Männer hier am Tor abgegeben hätten? - Einen Brief, sagte ich.« Beata schwieg.
    »Und weiter?« Courvenal wurde ungeduldig.
    Beata schlug die Augen nieder. Courvenal wusste, dass sie nicht lügen oder unwahre Geschichten erzählen würde. Aber schweigen konnte sie. Courvenal ahnte auch, warum sie schwieg. Schweiß trat ihm auf die Stirn, denn gleich würde eine für alle unangenehme Situation eintreten. Er wollte mit seiner nächsten Frage wissen, ob es dieser Dorran geschafft habe, dass sie ihm den Brief gezeigt habe. Beata schwieg wieder.
    Ob sie sich außerhalb des Klosters mit dem Mann getroffen habe.
    Beata schwieg und heftete ihren Blick auf den Boden.
    Die Äbtissin sagte während dieses Verhörs kein einziges Wort. Als es ihr genug der Fragen und des Schweigens erschien, entließ sie Beata

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