Tristan
sie sich erst gestern voneinander verabschiedet, dabei lagen viele Jahre zwischen ihrem Wiedersehen. Bei einem Fischessen, so schmackhaft, wie es der Mönch schon lange nicht mehr gehabt hatte, erzählte er ihm von seiner Reise, erwähnte Tristans Namen nicht, sagte nur, dass er einen Zögling habe, der von fremden Leuten verfolgt werde. Deshalb bat er seinen Freund um ein paar Kleider, die er sich für einige Tage von ihm ausborgen wollte. Als Courvenal wenig später aus einem der Gemächer in Hemd, Wams und Beinkleidern auftauchte, auf dem Kopf eine Mütze trug und an den Füßen statt seiner Sandalen geschlossene spitze Schuhe, konnte sich Herman eines Lachens nicht enthalten.
»Sehe ich so komisch aus - wie ein Gaukler?« Courvenal wurde blass.
»Nein, nein, mein Lieber. Diese Tracht ist nur völlig ungewohnt an dir - oder es ist die andere, die du sonst trägst. Das Zeug steht dir gut. Du solltest dir vielleicht doch überlegen …«
Courvenal winkte ab. Herman hatte ihn schon damals tagelang dazu überreden wollen, in der Welt zu leben und nicht in der Kirche Gottes. Aber für Courvenal war die Welt die Kirche Gottes geblieben.
Eilig verabschiedete er sich, ritt zurück in die Stadt und dort direkt zum Hafen. In einem der Pfahlbauten, die in den See hineingesetzt waren, fand er ein Bett bei einer Familie, die dadurch selbst auf eines verzichten und mit den zwei Kindern auf einem einzigen Lager zusammenrücken musste. Die Münzen, die Courvenal ihnen für die zwei Übernachtungen ließ, vergüteten ihre Entbehrungen um ein Vielfaches. Sie sorgten auch gleich dafür, dass er immer zu essen hatte, und beschafften noch eine weitere Überdecke, denn die Nächte waren schon kalt über dem See.
Courvenal war alles recht. Noch am Abend schwärmte er aus und besuchte die Uferstände, hielt nach dem Rothaarigen Ausschau und fand ihn dort, wo Wein ausgeschenkt wurde. Es war, wie Beata angedeutet hatte, der fünfte Stand. Da der Wein nicht billig war, dafür aber in zwei eisernen Schalen gute Feuer brannten, an denen man sich wärmen konnte, gab es bald einen Vorwand für Courvenal, neben dem Rothaarigen einen Platz zu finden, ihm in mitteldeutscher, vermischt mit französischer Sprache und ein Paar Brocken Latein rasch zu erklären, wie kalt es hier sei. Der andere verstand ihn nicht. Daraufhin versuchte es Courvenal auf Bretonisch und schließlich, wenn auch holpernd und ungeschickt auf Eruisch. Da hellte sich das Gesicht seines Nachbarn auf, und die beiden versuchten, so gut es eben ging, miteinander zu reden. Courvenal tat dabei so, als würde er nur wenig von dem verstehen, was ihm sein neuer Freund sagte. Als er ihn dann - »Ich bin ein Kaufmann aus Aragon«, sagte er auf Spanisch, und der Rothaarige verstand nur »Aragon« - zu einigen Bechern Wein einlud, vergaß Dorran seine Zurückhaltung und erzählte ihm unter vorgehaltener Hand von seinem Auftrag.
»Ich bin der Schatten zweier Schatten«, sagte er, schon ein wenig nuschelnd, »geschickt von der Sonne Irlands, von meiner Königin Isolde.«
»Und was sollst du tun?«
»Darauf achten, dass eines Tages unter dieser Sonne nichts Schlimmes geschehen kann.«
»Was sollte Schlimmes geschehen?«
»Es geht um die Königstochter Isôt.«
»Und deshalb bist du hier?«
»Um ein Unglück zu verhindern, indem ich eines schaffe.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Es geht um einen kleinen Jungen.«
»Nicht um Ritter und Gold?« Courvenal tat überrascht, und Dorran machte sich mit seinem Geheimnis, das er stückweise preisgab, immer wichtiger: »Es geht um ein ganzes Land!«
»Und woher wusste deine Königin, dass der Knabe hier ist?«
»Sie ist im Besitz des Reiseplans seines Lehrers, dessen Namen ich mir nicht merken kann.« Dorran rülpste.
»Was wollt ihr mit dem Knaben machen?«
Dorran setzte sich aufrecht hin und sah Courvenal mit glasigen Augen vorwurfsvoll an. »Ich«, sagte er, »ich werde gar nichts mit ihm machen. Dafür sind meine Schatten da.«
»Du hast also tatsächlich zwei?«
»Ja, zwei!« Dorran rülpste erneut.
»Und was machen die mit dem Knaben?«
»Sie lassen ihn …« - Dorran schien nachzudenken, verdrehte die Augen, sah nach oben und verschränkte ungeschickt die Finger seiner Hände ineinander. »Sie lassen ihn verschwinden - und dann lasse ich meine Schatten verschwinden.«
»Dann hast du selbst keinen mehr, und ein Mensch ohne Schatten, du weißt ja, ist - kein Mensch mehr, sondern nur noch ein Geist.«
Dorran stutzte.
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