Tristan
Mauer?« Wieder ein Kopfnicken.
»Beim ersten,zweiten, dritten, vierten, fünften …« Da nickte sie mit dem Kopf.
»Und nun kannst du wieder reden und sagst mir noch, wie der Mann aussah, jung oder alt, rote, helle oder dunkle Haare, lange, dicke, gerade oder gebogene Nase, hohe, tiefe oder flache Stirn, Bart oder Flaum oder gar ein geschabtes Kinn, und welche Kleidung?« Courvenal wurde ungeduldig.
»Jung, rote Haare, Locken, dünner Bart, breite Nase, eingedellt, schöne Lippen, ein blauer Rock und ein langes Messer - mehr habe ich nicht sehen können am Tor. Und was ich nicht hätte sagen dürfen, hätte ich singen können, denn singen ist genauso viel wie nicht reden.«
Courvenal sah sie erstaunt an. »Du kannst singen?«
Beata errötete. »So schön wie keine sonst, sagen alle.«
»Dann war es also deine Stimme, die ich vorhin im Waschraum hörte?«
Beata antwortete nicht und senkte wieder den Blick.
Courvenal schickte sie zurück zu ihrer Arbeit und ging eilends hinauf in sein Zimmer. Als er dort Tristan vorfand, ausgestreckt auf seinem Lager und mit einem Blick in den Augen, als hätte er vor sich hin geträumt, war er erleichtert.
»In drei Tagen in der Nacht sind wir dabei, wenn der Spielmann seinen Vortrag gibt. Freust du dich?«
Tristan setzte sich gleich auf die Kante und klatschte in die Hände.
»Bis dahin aber«, fuhr Courvenal fort, »darfst du das Kloster nicht verlassen.«
»Warum denn nicht?« Tristan war überrascht und enttäuscht.
»Weil ich morgen in aller Frühe fortmuss und erst zum Vollmond wieder zurück bin. Die Stadt ist voller fremder Menschen, und das Fremde bedeutet nicht immer das Gute. Du bist noch ein Knabe.«
»Thomas und Nella können mich durch die Straßen begleiten, sie passen auf mich auf. Außerdem habe ich ein Schwert.«
»Thomas kann dich nicht begleiten, weil ich ihn für mich brauche. Nella ist eine Hündin und hat keinen Verstand. Drittens ist ein Schwert eine Waffe und gehört nicht in die Hand eines Kindes.«
»Und was soll ich diese Tage über tun? Ich kann doch nicht die ganze Zeit beten?«
»Du wirst singen lernen.«
»Das kann ich schon.«
»Jeder Mensch kann singen, und du hast eine schöne Stimme. Aber nicht jeder kann sie beherrschen, genauso wie jeder Mensch mit einem Schwert auf etwas einschlagen kann, ohne es richtig in der Hand zu führen.«
Das sah Tristan ein. »Kann ich nicht lieber das Schwertfechten lernen?«, fragte er.
Courvenal musste lachen. »Hier, bei den Nonnen? Nein, mein Lieber. Das wirst du alles auch noch lernen, nur nicht in einem Kloster. Und jetzt lass uns noch eine Partie Schach spielen, dann wird geschlafen.«
Die Verkleidung ~ 131 ~ Schatten im Schatten
Beata war erstaunt über die Stimme des Jungen. Von der Äbtissin war sie von allen Diensten freigestellt und sollte sich nur um Tristan kümmern. Courvenal hatte das in die Wege geleitet.
Zunächst sah Tristan unwillig den Unterweisungen entgegen und blieb dann wie angewurzelt stehen, als er Beata zum ersten Mal erblickte. Ihr Gesicht war weich, ihre Augen ruhten voll Interesse auf ihm, und ihre Stimme war so fein, wie er nie zuvor eine Magd oder Frau hatte sprechen hören. Er folgte der Novizin zum Musikzimmer des Klosters, und dabei fiel ihm auf, dass sie einen etwas schleppenden Gang hatte. Er sah ja nicht ihre Beine, nur ihr über den Boden schleifendes Gewand, das beim Gehen ungleiche Falten warf. Im Musikzimmer erblickte er eine Reihe von Harfen und Lauten, auf einem Tisch waren Blätter ausgelegt mit Linien, auf denen schwarze Würfel zu tanzen schienen. Nach und nach erklärte ihm Beata die Bedeutung der Noten und die Instrumente. Darüber vergaß Tristan Courvenal, den Brief und die ganze Stadt Constantia. Erst am Nachmittag begann Beata mit dem Singen. Ihre Stimme war für Tristan wie ein Wunder. Sofort versuchte er, es ihr gleich zu tun, doch gegenüber dem Gesang von Beata hörte sich der seine wie ein heiseres Krächzen an. Sie machte ihm Mut und lehrte ihn ein Kirchenlied.
Courvenal hatte unterdessen erst Thomas strikte Anweisungen gegeben, darauf zu achten, dass der junge Herr unter keinen Umständen während seiner Abwesenheit das Kloster verlassen durfte, auch nicht um Nella zu sehen. Dann war er zu Herman von Bückingen geritten, der in einem Herrenhaus am Ende der Stadt wohnte, ein Alemanne und Freund aus Klostertagen. Er hatte sich für das weltliche Leben entschieden und war Kaufmann geworden.
Herman empfing Courvenal, als hätten
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