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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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kamen Fetzen der Erinnerung an den vergangenen Abend zurück, und zugleich wollte der Traum verblassen. Courvenal streckte die nackten Beine aus und schloss die Augen, weil er nicht diesen Abend, sondern den Traum bei sich behalten wollte, ihn weiterträumen, um die Bilder, die er gesehen hatte, nicht zu vergessen. Er hatte eine Aufgabe, die ihm auferlegt war, die musste er erfüllen. Zwar spürte er, dass er urinieren wollte, wusste aber nicht, wo. Alles war ihm fremd. In dieser Dunkelheit aufzustehen wagte er nicht. Am liebsten wäre er einfach nur verschwunden. Mit diesem Gefühl der Hilflosigkeit schlief er ein.
    Einige Zeit später erwachte er, die Sonne glitt gerade über den Horizont auf ihrem Weg in den Himmel. Er zog sich schnell seine Kleider an, Hemd, Hose und diese Schuhe, die so gar nicht zu seinen Füßen zu passen schienen. Hermans Kleider, dachte er in seiner Benommenheit, ich verkleide mich!
    Nachdem er einen Brei aus Graupen gegessen hatte und auf den Steg des Pfahlbaus heraustrat, den See ruhig vor sich liegen sah, als könnte man über ihn hinweggehen, war ihm längst bewusst, was er in der letzten Nacht erlebt hatte. Die Sonne schien ein wenig milchig durch dünne Wolkenschleier hindurch, die von Westen aufzogen, und Courvenal bemerkte seinen langen Schatten, der sich blassgrau auf den Holzbrettern abzeichnete. Er hob seinen Arm, um zu sehen, ob dies wirklich sein Schatten war, und da verblasste das Schattenbild ganz. Die Sonne lag hinter den Wolken. Nicht töten, dachte Courvenal, du sollst nicht töten, aber verschwinden - du kannst sie verschwinden lassen!
    Wenig später ritt er zu Herman von Bückingen, schilderte ihm seinen Plan und gab ihm einige Silbermünzen. Sofort erhielt er dessen Einverständnis. Fünf Männer aus Hermans Truppe mussten genügen. Alle Verabredungen waren getroffen, Treffpunkt und Zeit festgelegt. So konnte Courvenal noch einige Zeit unbeschwert mit seinem alten Freund verbringen und ritt erst am Nachmittag wieder zurück in die Stadt. Diesmal hatte er seine Kutte über seine Straßenkleider geworfen wie eine zweite Tarnung, gelangte in die Nähe des Klosters und ließ dort sein Pferd in einem benachbarten Stall zurück. Die Kapuze hatte er sich tief in die Stirn gezogen, er sah aus wie ein Mönch im Gebet.
    Wie erwartet, entdeckte er in der Nähe des großen Tores zwei junge Männer. Ihre Haartracht trugen sie nach britannischer Art bis auf die Schultern, und die Beinkleider endeten unter den Knien, wie man es beim Fahrenden Volk sah. Die Zeit vertrieben sie sich damit, Münzen gegen ein glattes Mauerwerk zu werfen. Wessen Münze der Mauer am nächsten lag, konnte die des anderen behalten. Sie schienen sehr mit ihrem Spiel beschäftigt, immer wieder aber hielten sie darin inne und schauten zum Tor. Als es einmal geöffnet wurde, rannten sie schnell um die Hausecke und lugten dahinter wie zwei Späher hervor, die jemanden beobachten sollten. Aus dem Tor trat eine Nonne, es wurde geschlossen, die Nonne lief den Weg entlang, und gleich darauf begannen die Männer erneut mit ihrem Spiel.
    Zufrieden damit, die Briefboten entdeckt zu haben, ließ Courvenal den Blick über den Platz vor dem Kloster schweifen und erschrak. Gegenüber, gar nicht weit entfernt, stand bei einer Sandsteinsäule sein neuer irischer Freund Dorran. Courvenal senkte gleich den Kopf, begann wieder wie im Gebet auf und ab zu gehen und sah aus den Augenwinkeln, dass Dorran sowohl die beiden Spieler wie auch das Tor im Auge behielt. Der Schatten beschattet seine Leute, dachte er, und wird selbst beschattet. Er musste in sich hineinlachen, weil sich das Wortspiel des letzten Abends plötzlich in der Wirklichkeit wiederfand, aber auch, weil er nun genau wusste, mit wem er es zu tun hatte und Hermans Männern Bescheid geben konnte. »Nun kann ich also den Köder auslegen«, murmelte er und wandte sich der Gasse zu, in der sein Pferd untergestellt war. Da kam ein Hund bellend auf ihn zugerannt. Nella!, schoss es Courvenal durch den Kopf. Und wo Nella war, musste auch Thomas sein, und der würde ihn sofort erkennen, schon an Gestalt und Bewegung und an der blau-roten Kordel, die er um seine Kutte trug.
    Nella war schon ganz nah, sprang auf ihn zu. Courvenal löste sein Zingulum und begann, laut fluchend mit ihm nach dem Hund zu schlagen. Dabei sah er, dass die beiden Späher mit ihrem Spiel aufgehört hatten, Dorran hinter der Säule hervorgetreten war, und zu allem Unglück erschien auch noch Thomas seitlich

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