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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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brauchte die kleine Gruppe nicht lange. Soldaten der städtischen Garde hatten den Platz abgeriegelt, es war ein Holzpodest aufgebaut worden und wie in einem Amphitheater eine Zuschauertribüne. Obwohl es erst allmählich dunkelte, brannten schon Fackeln an den Enden der Sitzreihen, die sich schnell füllten mit den Vertretern der Stadtregierung und des bischöflichen Klerus, mit den Mitgliedern der Patrizier, die in der Ringgasse und am Leinmarkt ihre prächtigen Häuser hatten. Eine Reitergarde und Grafen, Barone und Fürsten der näheren Umgebung fanden sich ebenfalls ein.
    Die Äbtissin, sceur Beata, Courvenal und Tristan hatten ihre Plätze in der zweiten Reihe. Junge Burschen in bunten Vogelkostümen mit langer Schnabelnase, die tanzend und mit den Händen flatternd vor ihnen herliefen, ständig Verbeugungen vollführten und sich um den Mund ein immerwährendes Lächeln aufgemalt hatten, wiesen die Zuschauer ein. Hinter der Bühne ertönten die Klänge von Schalmeien, Lauten und Holzbläsern - Tristan war begeistert, die Instrumente wiederzuerkennen, die er durch sceur Beata kennengelernt hatte. Unablässig redete er von Musik und Melodien mit vor Aufregung geröteten Wangen und hielt dabei die Hände von Courvenal und Beata, zwischen denen er den Platz betrat. Courvenal entdeckte einige Reihen hinter ihnen Herman, nickte ihm zu, dann ertönten Trommelwirbel, und alle, die schon saßen, erhoben sich und begrüßten den Bischof und den Stadtherrn. Dass beide gemeinsam den Platz betraten, brachte die Anwesenden zum Applaudieren. Dann setzten sich alle, die Musik wurde lauter, und schließlich trat hinter einem Vorhang ein als Löwe verkleideter Spieler hervor. Man dachte, es sei Arnold von Ambachten, und begrüßte ihn gleich mit Applaus und Zurufen, doch der Löwe hob seine Tatze und brachte die Zuschauer zum Schweigen.
    Als alles still war, erschien ein hagerer Mann. Sein Gesicht war verborgen unter einer fleischfarbenen Maske, die nur Öffnungen für die Augen und den Mund hatte. Man sah keine Haare, keine Ohren, keine Nase - und auch das Kleid, das er eng am Körper trug, täuschte völlige Nacktheit vor, ein Wesen, wie es Tristan nie zuvor gesehen hatte. Er hielt den Atem an, als dieses nackte Tier nun über die Bühne huschte wie ein Geist, beschienen vom lodernden Licht zweier Pechfackeln. Das Wesen versteckte sich hinter dem Löwen, sodass man es nicht mehr sehen konnte. »Herzlich willkommen, ihr Gäste von hier und weither«, war eine volle und wohlklingende Stimme zu hören, »der Mond ist noch fern, es leuchtet der Stern. Das Spiel kann beginnen, die Zeit wird verrinnen, wenn Ihr gleich sehet, wie schwer es ergehet, Renärt dem goupil bei List und bei Spiel, der alle belüget und alle betrüget, dem Galgen entrinnet und gleichwohl gewinnet.«
    Tristan war von Anfang an wie verzaubert. Er verstand längst nicht jeden Vers, der vorgetragen wurde. Manchmal wechselte die Sprache vom Lateinischen ins Deutsche, ins Flämische und Französische und wieder zurück ins Latein, aber er ahnte, dass es darum ging, dass ein Bösewicht, der Fuchs, es durch seine schlauen Worte verstand, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Der Löwe Nobel hielt Gericht, der Fuchs war beschuldigt, der Bär trat auf, und Hintz, der Kater, der Dachs Grimbart und Isegrim, der Wolf. Sie kamen alle verkleidet auf die Bühne, und immer wenn sie sich zeigten und reden sollten, huschte die nackte Figur hinter sie und lieh ihnen seine Stimme.
    »Der Nackte muss Arnold sein!«, flüsterte Tristan Courvenal zu.
    »Er und kein anderer«, bestätigte ihn sein Lehrer.
    »Aber wo ist Renärt?«, wollte Tristan wissen.
    »Er ist die Stimme«, sagte Courvenal, und dann sah er wie Tristan wieder dem Spektakel zu.
    Am Ende verneigten sich alle Spieler auf der Bühne, nur der Nackte fehlte. Die als Tiere Verkleideten traten ab und verschwanden hinter dem Vorhang, da zog noch einmal ein Trommelwirbel die Zuschauer in seinen Bann. Plötzlich erschien Renärt selbst. Er trug ein prächtiges Kostüm, so täuschend ähnlich einer Fuchsgestalt nachempfunden, jedoch mannsgroß, dass Tristan von seinem Platz aufstand und die Maskerade mit offenem Mund anstarrte.
    Ganz kurz war dieser Auftritt. Der Fuchs verschwand wieder nach einer Verbeugung, und die Fackeln bei der Bühne wurden gelöscht. Das Publikum klatschte und tobte vor Begeisterung. Der Bischof ging schnell zur Seite weg, der Stadtherr folgte ihm, und dann erst begannen die Zuschauer, sich zu

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