Tristan
kommt ihr und wohin wollt ihr?«
In diesem Moment kam Courvenal ans Tor. Er wollte hinunter zum Fluss, um sich nach dem langen Sitzen im Scriptorium und auf dem harten Gestühl der Kirche noch ein wenig die Beine zu vertreten. Die Pilger erkannte er sofort wieder. Da er wegen der Kälte seine Kapuze übergeworfen hatte, blickten sie ihm nicht ins Gesicht und hielten ihn für einen Klosterbruder.
»Es geht darum«, sagte einer der Pilger umständlich, »dass wir im Auftrag des Königs von Britannien unterwegs sind und ein Kind suchen.«
»Wir haben hier keine Kinder«, sagte der Türhüter.
Courvenal grüßte und drückte sich an den Pilgern vorbei, blieb aber gleich hinter dem Tor stehen.
Vielleicht gebe es ja auch unter den Novizen einen Jungen, sagte einer der beiden in seinem schlechten Lateinisch, der des Öfteren den Namen Blancheflur nennen würde.
»Blancheflur?«, wiederholte der Mönch nachahmend. »Nie gehört!«
»Seid Ihr Euch sicher?«
»Ganz sicher!«
»Dann danken wir Euch für Euer Entgegenkommen. - Sagt uns noch, was ist das nächste Kloster, bei dem wir anfragen könnten? Und wie viel Wegtage ist es entfernt?«
Der Mönch gab Auskunft, die Pilger standen schließlich vor dem verschlossenen Tor und begannen, in britannischer Sprache schlecht über ihren König zu reden. Sie könnten doch nicht die ganze Welt bereisen, um nach einem Bastard zu suchen, dessen Mutter Blancheflur hieß.
»Weißt du eigentlich genau, wo wir hier sind?«, fragte der eine den anderen.
»In Italien, wo sonst.«
»Kaum mehr zählbare Monde lang sind wir jetzt unterwegs, und der Bastard sitzt vielleicht schon seit der Hälfte der Zeit dem König auf dem Schoß oder hat ihm eine Grube graben lassen, damit er für immer verschwindet, und wir suchen nach einem …« Dem Pilger fehlte das Wort.
»Nothing«, sagte Courvenal und trat hinter dem Mauervorsprung hervor.
Die beiden waren erstaunt. Einer von ihnen hatte eine recht schief gebogene Nase, der andere so dünne Lippen, dass Courvenal vermutete, dahinter wären keine Zähne mehr. In jedem Fall waren die beiden ebenso überrascht über das plötzliche Auftauchen des Mönchs wie auch erfreut, dass er ihre Sprache zu sprechen schien.
»Warum lässt man euch nicht ein ins Kloster, wenn ihr doch Pilger seid?«, fragte sie Courvenal in ihrer Sprache mit bretonischem Akzent.
»Wir sind keine Pilger«, antwortete der mit der schiefen Nase, »wir suchen nach einem Jungen, und das Zehrgeld, das uns der König gegeben hat, geht zu Ende. Es reicht vielleicht noch ein halbes Jahr. Wenn wir das Kind bis dahin nicht gefunden haben, müssen wir uns irgendeinem Grafen als Fußvolk verdingen, sonst verhungern wir.«
»Wie heißt denn der Junge?«
»Nicht einmal das wissen wir, und ob es ihn überhaupt gibt.«
»Und der Name des Vaters?«
»Den wollte uns der König auch nicht sagen. Nur den der Mutter kennen wir - Blancheflur.«
»Wer soll das sein?«
»Die Schwester des Königs.«
»Und die weiß nicht, wo sich ihr eigenes Kind befindet?«
»Niemand weiß, wo die Mutter ist.«
»Hat der König denn auch einen Namen?«
»Marke von Cornwall.«
»Woran wollt ihr erkennen, wenn ihr ein Kind gefunden habt, dass es der Sohn dieser Blancheflur ist?«
»Er muss das Mal seiner Mutter tragen, einen dunklen Fleck.«
»Wo?«
Die beiden zögerten, sahen zuerst sich an und dann Courvenal.
»Nun sagt es schon«, sagte der Mönch, »mir könnt ihr vertrauen.«
»Hier!«, sagte wieder der mit der gebogenen Nase und deutete dabei, nachdem er sein langes, zerfleddertes Hemd hochgezogen hatte, auf die Innenseite seines rechten Schenkels.
Courvenal würgte es leicht, als er das völlig verdreckte nackte Bein sah, und er zog die Augenbrauen hoch. »Ein Stück des Weges zum Fluss hinunter«, sagte er und atmete einmal tief durch, »gibt es eine Schenke. Dort kann man Kaidaunen essen und einen passablen Wein trinken. Kommt mit, ich lade euch ein, und ihr erzählt mir mehr von eurem britannischen König und seiner Schwester.«
In der Hütte berichteten ihm die beiden, dass sie nur zwei von vielen wären, die der König ausgesandt habe, um nach seiner Schwester und dem Kind zu suchen. Die meisten seien bei den Normannen und in der Bretagne unterwegs, sie aber, Hoggard und Pint, wie sie sich nannten, hätten sich entschlossen, nach Süden zu wandern. Sie wollten bis nach Rom kommen, bis dahin würde auch das Geld, das ihnen der Marschall des Königs gegeben hatte, reichen. Alles, was
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