Tristan
unangenehm riechenden Zusätzen hatte darüberhinaus den effectus, dass Nella seit dieser Nacht Tristans Bett fernblieb und in den folgenden Tagen und Monaten sogar auf dem Gang vor dem Zimmer schlief. Die Mönche hatten der Hündin eine zerschlissene Decke hingelegt, dort wachte das Tier. Seine Anhänglichkeit war außergewöhnlich, bisweilen erschien es Courvenal sogar als klug. Da Tristan in Bobbio über die Wintertage viel Zeit im Scriptorium und in der Bibliothek verbrachte, wartete die Hündin immer geduldig auf ihn. Gab es Ausritte in die nahe Umgebung, um Schweine zu jagen, folgte sie aufmerksam, stöberte auch Rebhühner auf und brachte die mit einem Pfeil durchbohrten Tiere ihrem Herrn.
Im Kloster gab es auch einen Falkner, Alberto, der die Greifvögel für die Grafen der umliegenden Güter ausbildete. Bei ihm hielt sich Tristan gern und lange auf, wenn er vom Lesen, Schreiben, Repetieren oder dem Musizieren befreit war. Vor Falken hatte Nella großen Respekt, sie versteckte sich vor ihnen, während der Junge mit den Vögeln schon bald so umging, als wären sie seine eigenen. Einmal geschah es, dass ein conte mit seinen Leuten fünf oder sechs Falken vom Kloster abholte und die Zucht teuer bezahlte. Ungeduldig wollte er noch auf dem Weg zu seinem castello die Flugkünste des einen oder anderen Falken unter Beweis stellen, musste ihnen aber voller Zorn dabei zusehen, wie sie in den Lüften für immer verschwanden. Tristan übte zur gleichen Zeit vor den Klostermauern das Bogenschießen, trug am linken Arm einen ledernen Schaft zum Schutz vor der zurückschnellenden Sehne, da stürzte wie aus heiterem Himmel erst ein Falke, dann ein weiterer zu ihm hinunter, und die Tiere setzten sich folgsam auf seinen Arm.
Als Tristan die Vögel ins Kloster zurückbrachte, freute sich der Falkner darüber, denn er konnte sie nun ein zweites Mal verkaufen. Der Junge aber wurde ihm unheimlich. Er befürchtete, dass jemand hinter diesem Zufall eine unlautere Absicht vermutete. »Übergroße Eignung zur Beherrschung der Natur«, sagte er zu Courvenal, »erzeugt Missgunst bei jenen, die sich des Schönen nur zum Schmuck bedienen«, und wenn es die Natur betreffe, hätten Kunst und Gebrauch etwas sich Widersprechendes. Mit solch verschlüsselten Worten versuchte Alberto Courvenal zu erklären, dass es ihm bei aller Begabung, die der Junge im Umgang mit den Vögeln zeige, zu seinem Bedauern nicht länger möglich sei, Tristan an den Übungen teilnehmen zu lassen.
Courvenal war erstaunt über die Worte, aber auch glücklich darüber, dass das Ereignis der Rückkehr der Falken stattfand, als der Winter in den Frühling überging und er bereits die Abreise aus Bobbio vorbereitete. In der Ebene des Po-Flusses wollten sie hinaufziehen bis nach Venecia, wo Tristan in die Gesetze des Handels und die Fertigkeit des Schiffsbaus eingewiesen werden sollte. Erst dann ging es durch die toskanischen Berge nach Firenze und Siena und weiter nach Roma. Mehr als ein ganzes Jahr hatte Courvenal für diesen Weg eingeplant, geistige Bildung und handwerkliches Wissen, die Kenntnis der Jagd, der Erzeugung von Öl und Wein, das Anfertigen von Schuhen und das Weben feiner Stoffe - das alles stand in seinen Notaten. Später, erst viel später, möglichst in Catalonien oder Mauretanien, wenn Tristan aus dem Jünglingsalter herauszuwachsen begann, sollte die Ausbildung zum Reiter und Feldmarschall erfolgen, der Umgang mit Schwert, Schild und Lanze und die Logik der Führung von Schlachten.
Dann - gegen Ende der sieben Jahre - so träumte Courvenal manchmal vor sich hin, würde er seinen Schüler über die Westküste des Agevinischen Reichs von der Gascogne bis zur Bretagne wieder zurückführen in seine Heimat. Vielleicht würden sie sogar das Glück haben, ein Handelsschiff zu finden, das groß genug wäre, um sie selbst und ihre Güter aufzunehmen und sie bis zur parmenischen Küste zu bringen.
Welche Freude wird das sein, schrieb er in sein achtes Papyrusheft, wenn ich Rual, dem Edlen, und seiner Frau Floräte einen Sohn zurückbringe, der schon jetzt mehr als fünf Sprachen beherrscht und es jedes Mal rasch lernt, das einfache Volk in seinen Dialekten zu verstehen, der Wildbret wie ein Jagdmeister zerlegen kann, der wie ein Engel singt, die Laute zupft und mit dem Bogen Saiten streicht, deren Töne unseren Ohren wohltun wie Honig dem Gaumen. Ungeschriebene fabulae erzählt er von der Geschichte der Griechen, der Römer, von den Schriften des Caesar,
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