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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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versteckte die Kopfbedeckung im Ärmel seiner Kutte und lief, so schnell er konnte, zwischen Männern und Frauen hindurch in eine Seitengasse. Dort lagen ein paar Hunde vor den Haustüren, die ihn nicht weiter beachteten, und Frauen, die an der Hauswand Feuer entfacht hatten, kochten in Kesseln eine zuppa.
    In einer schattigen Ecke hockte Tristan sich nieder. Sein Rock lag in einer übel riechenden Pfütze, die in einem schillernden Rinnsal ihren Weg zwischen Kieseln und ein paar Grasbüscheln suchte, und seine Sandalen, die ihm Courvenal in Rom gekauft hatte, versanken mitsamt seinen Zehenspitzen in einem grauschwarzen Moder. Dreck, dachte Tristan, nur Dreck kann mich retten. Er zerrte die eingerissene Kappe aus seinem Ärmel, zog sie sich über den Kopf und stopfte seine blonden Locken darunter. Dann beschmierte er sein Gesicht mit dem Schlamm vom Rand der Pfütze. Mit dem Ärmel wischte er ein paarmal darüber, um den Schmutz gleichmäßig zu verteilen und nicht allzu verkommen auszusehen.
    Entstellt und unkenntlich wagte er sich zurück in die Gasse, in der er den Zug der Priester und Soldaten verloren hatte. Zu seinem Erstaunen entdeckte er dort Thomas, der mit Nella an seiner Seite auf ihn zu warten schien. Doch weder die Hündin noch der Knecht erkannten ihn, die Hündin nicht, weil er wie eine Latrine stank, der Knecht nicht, weil er auf die blonden Haare fixiert war. Tristan schloss sich einer Gruppe von Lastenträgern an, die die Gasse hinuntergingen, überholte sie, eilte ihnen voraus, ohne zu wissen, wohin er gelangen würde, und stand ganz unerwartet vor dem Ziel seiner excursion, vor der Kathedrale.
    Weil er so beschmutzt war, wurde er nicht in sie hineingelassen. Zum Glück erbarmte sich einer der Mönche, die ihn abgewiesen hatten, ihm den kürzesten Weg zurück zum Kloster zu weisen. Dort kam Tristan bei untergehender Sonne an. Er musste sich die Kappe vom Kopf reißen, damit man ihn erkannte. Courvenal wurde sofort verständigt. Mit sorgenvollem Blick kam er auf ihn zu.
    »Tristan, mein Tristan«, sagte er und schloss ihn in die Arme, »wo bist du gewesen? Und warum nur stinkst du so entsetzlich?«
    Er sei auf einem Platz in eine Menge geraten, auf die Straße gestürzt und habe sich verlaufen. Die Leute seien wie wild gewesen, und diese Stadt sei ein Labyrinth.
    »O ja, ich habe davon gehört«, sagte Courvenal nachdenklich. »Auf der Plaza Mayor wurden fünf Diebe und Mörder hingerichtet. Die Toten werden auf einem Scheiterhaufen verbrannt, damit ihre Seelen keine Ruhe finden. Vorher aber dürfen die Leute ihnen nehmen, was die Hingerichteten am Leibe tragen, und dabei kommt es immer zu Streit und Gerangel. - Warst du denn allein in der Stadt, hat Thomas dich nicht begleitet?«
    »Doch, doch«, beschwichtigte Tristan Courvenal, »ich habe ihn gesehen, ihn und Nella. Er ist mir gefolgt. Aber in der Menge hat er mich verloren.«
    »Ich werde mit ihm sprechen«, sagte Courvenal. »Sich frei bewegen zu dürfen bedeutet nicht, ohne Aufsicht zu sein. Gerade in der maßvollen Beaufsichtigung liegt die größte Freiheit. Und du gehörst jetzt in ein Bad und in frische Kleider. Außerdem musst du Hunger haben.«
     
    Lex Generalis ~ 144 ~ Der erste Freund
     
    Tristan konnte in dieser Nacht lange nicht einschlafen. Sosehr er erschrocken war über das, was er erlebt hatte, und froh darüber, in seinem Bett liegen zu können, machte ihn das wilde Leben in dieser Stadt doch neugierig. Bislang hatte er alles nur vom Rücken seines Pferdes aus wahrgenommen, hatte sich in Refektorien, Kirchen, Bibliotheken oder in Werkstätten aufgehalten unter der Obhut seines Erziehers, der Mönche oder der Meister. Aber die Luft da draußen in den Straßen und auf den Plätzen war eine ganz andere, vor allem wenn man sie allein und ohne den Schutz anderer einatmete.
    Als er am nächsten Tag das Kloster verließ, schlug er gleich seine Kapuze über den Kopf, obwohl es schon frühmorgens sehr warm war, steckte die Haare weg und zog den Stoff tief in die Stirn. Dass er dadurch selbst viel weniger sah und um sich blicken konnte, ärgerte ihn anfangs. Andererseits wurde er nun aber kaum mehr beachtet.
    Courvenal musste wohl mit Thomas ins Gericht gegangen sein, denn er hielt sich nun wie ein richtiger Knecht einige wenige Schritte hinter ihm und hatte auch Nella nicht dabei.
    »Wo willst du denn heute hin?«, sprach er Tristan von hinten an.
    »Bleib vor der Tür stehen, ich bin gleich zurück«, antwortete Tristan und betrat das

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