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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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einer, der sich in den Rechten auskennt?«
    »Erstaunlich, wie Ihr Euch auskennt! Darf ich nach Eurem Alter fragen?«
    »Ich bin im vierzehnten Jahr«, log Tristan.
    Philippe lächelte freundlich. »Und was führt Euch nach Barcelona?«
    »Studien.«
    »Welcher Art?«
    Tristan zögerte. Er rätselte, wohin dieses Gespräch noch führen würde, und ahnte nicht, worauf er sich eingelassen hatte. Das Huhn, das serviert wurde, schmeckte süß und scharf zugleich, wie er es bisher noch nie so schmackhaft aufgetischt bekommen hatte. Von dem Wein hatte er noch keinen Schluck genommen, nur daran genippt und sofort gespürt, wie ihm warm geworden war. Um seine Verlegenheit zu überspielen, steckte er sich etwas von dem fasrigen Fleisch in den Mund, konnte nicht gleich sprechen und hatte Zeit für eine Antwort. »Das Alte Testament«, sagte er schließlich, nachdem sein Mund wieder leer war.
    »Und wo studiert Ihr?«
    »In …«, Tristan nahm einen Schluck Wasser, um nochmals Zeit zu gewinnen. »In Verona.«
    »Und da habt Ihr den weiten Weg bis hierher gemacht, um bei uns ungläubigen, sarazenisch unterwanderten Kataloniern etwas über die Juden und die Zehn Gebote zu erfahren? Noch erstaunlicher! Nun erklärt mir aber: Gehört es zu Eurem Studium dazu, das achte Gebot auszuprobieren, das besagt: Du sollst nicht stehlen?«
    »Das war ein Notfall.«
    »Ein Notfall?«
    Tristan schwieg einen Moment wie jemand, der sich unschlüssig ist, einem Fremden die ganze Wahrheit zu erzählen. Dann stieß er, als wäre sie ihm wichtiger als jede mögliche Täuschung, voller Überzeugung und Notwendigkeit hervor: »Einer derer, die gestern auf der Plaza Mayor hingerichtet wurden, war ein Germane wie ich, ein Sachse sogar. Er hatte helles Haar, wie ich« - Tristan zog seine Haube vom Kopf, und seine blonden Locken fielen ihm wie Bündel goldener Fäden auf die Schultern -, »und die erhitzten Leute wurden auf mich aufmerksam« - Tristan nahm wieder etwas von dem Huhn und bemerkte, wie Philippe ihn anstarrte -, »sodass ich mich zu fürchten begann, weil sie mich vielleicht für einen Verwandten des Hingerichteten hielten. Also flüchtete ich und wusste mir nicht anders zu helfen, als mein Haar zu verstecken.« - Nun nahm Tristan sogar hastig, als hätte man ihn dazu gedrängt, einen kleinen Schluck aus dem Weinglas und wischte sich den Mund. - »Zum Bezahlen der Kappe blieb mir keine Zeit. Bedauerlicherweise kenne ich die Gasse nicht, in der das Geschäft lag. Aber da könnt Ihr mir sicher weiterhelfen, denn Ihr habt ja alles mitangesehen. Das ist auch der Zweck meines Ausflugs in die Stadt heute, die Schuld zu begleichen. Münzen habe ich dabei. Diese hier werden ja wohl reichen für eine Mütze« - mit diesen Worten legte er einige Genueser Kupferlira auf den Tisch. Als hätte er somit alles Wichtige erklärt, wandte er sich wieder dem Essen zu, das er zwischendurch schon mehrmals gelobt hatte.
    Philippe war für Augenblicke sprachlos. »Das habt Ihr überzeugend geschildert«, sagte er schließlich, »und so gut gelogen, dass ich mit Euch darauf anstoßen möchte.« Er hob sein Glas.
    »Gelogen?« Tristan verschluckte sich und musste husten.
    »Aber ja, mein Freund. Bei den Hingerichteten handelte es sich um fünf mauretanische Männer, Sarazenen, wie man sie im Norden nennt, Moros, wie wir zu ihnen sagen. Vier Schafsdiebe und Kirchenräuber, deren Haar so schwarz war wie ihre Seele. Hätte ich nichts davon gewusst, wäre ich auf deine Darstellung hereingefallen und hätte dir geglaubt. Courvenal hat nicht zu viel versprochen.« Philippe lachte.
    »Courvenal?« Tristan blieb der Mund offen stehen. »Ihr kennt Courvenal?«
    »Seit vielen Jahren schon. Er bat mich, ein Auge auf dich zu haben, Tristan von Parmenien, weil er annehmen musste, dass euer dummer Knecht Thomas dir und deiner Listigkeit niemals gewachsen wäre. Aber du hast es gut gemacht, dein Lehrer kann stolz auf dich sein, auch wenn er mit dir schimpfen wird. Sogar vom Wein hast du genippt und hast geschickt Lüge und Wahrheit gemischt. Die Griechen nannten das die phantasia, die in unseren Zeiten, in denen es nur um Macht und Geld, um Mord und Totschlag geht, ganz abhandengekommen zu sein scheint.«
    Tristan war wieder rot geworden. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, den man auf frischer Tat ertappt hatte. Doch mit jedem Wort mehr, das Philippe an ihn richtete, spürte er darin den Schutz, den er durch seinen Lehrer und dessen Freunde genoss. Er richtete sich in seinem

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