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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Frauen, die streckten die Hand nach seinem Kopf aus, und Kinder, die sich bei seinem Anblick zu fürchten schienen oder ihn im Vorbeigehen anstarrten. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, warum dies geschah: Sie bewunderten oder fürchteten sein langes, gelocktes helles Haar und sein bartloses Gesicht. Tristan hatte sein kurzes Schwert umgegürtet, auch das mochte sie einschüchtern.
    Je öfter die Menschen ihn anstarrten, desto mehr achtete der Junge auf sie. Was ihm zuvor wie selbstverständlich vorgekommen war, ihre dunkle Haut und ihr schwarzes Haar, wurde ihm nun als Gegensatz zu seiner eigenen Erscheinung bewusst. Farblos und blutleer musste er manchen vorkommen. Weil auch einige vor ihm auswichen oder sogar die andere Seite der Gasse benutzten, war es möglich, dass er sie an Normänner oder gar Wikinger erinnerte, die vor vielen Generationen überall an den Küsten unterwegs gewesen waren und rücksichtslos geplündert und gemordet hatten. Tristan wusste darüber nur, was Courvenal ihm erzählt und er auch in einigen Chroniken gelesen hatte. Mit Äxten, die zwei Schneiden besaßen, hieben sie um sich, schrien dabei unverständliche Worte, durchbohrten mit ihren gezackten Lanzen Lederschilde, als wären sie aus Schafswolle geknüpft, zogen die Widerhaken aus den Leibern und damit auch die Innereien und Gedärme ihrer Opfer.
    Auch die Kinder, die ihm entgegenkamen oder im Abstand hinter ihm herschlichen, verglich Tristan mit sich. Sie waren alle kleiner und gedrungener gewachsen als er, selbst solche, die als adulescentes im Gesicht schon Haare trugen und einen Dolch an der Seite.
    Unter den verwunderten und feindseligen Blicken beschleunigte Tristan seinen Schritt. Er hätte jetzt gern Nella bei sich gehabt oder auch Courvenal, um von sich abzulenken und sich wie ein unschuldiger Pilger durch die Menge bewegen zu können. Da er aber allein war, trafen ihn immer mehr misstrauische Blicke, je zahlreicher die Ansammlung derer wurde, die in den Gassen unterwegs waren. Sogar ein Reitertrupp wurde auf ihn aufmerksam, und der Obrist verlangte, seine Papiere zu sehen. Tristan hatte nichts dergleichen bei sich, sondern holte unter dem Kragen der Kutte die Plakette hervor, die er dort an einem Lederband bei sich führte und die das Abbild des heiligen Benedikt zeigte. Obwohl er die meisten Worte des Soldaten verstanden hatte, antwortete er im alemannischen Dialekt, wie man ihn in Constantia sprach. Beides mochte bewirkt haben, dass man ihn ziehen ließ.
    Endlos kam Tristan der Weg zur Kathedrale der Santa Maria vor, so als könnte er sie nie erreichen. Den halben Turm, der noch immer im Bau war, hatte er schon einige Male über den Dächern der niedrigen Häuser entdeckt, und immer glaubte er, dieses erhabene Bauwerk, von dem alle mit Bewunderung sprachen, würde sich von ihm weg bewegen, indem er darauf zuging.
    An Thomas und Nella, die doch auf ihn achtgeben sollten, dachte er schon längst nicht mehr. Mit eiligen Schritten war er schnell dem Verlauf einer Gasse gefolgt, in der vor allem Stoffe, Schnallen und Leder angeboten wurden. Außer Atem geraten, stieß er plötzlich auf einen Platz, auf dem sich die Menschen dicht an dicht drängten. Hier beachtete ihn niemand, weil sie alle einem entfernten Schauspiel zusahen. Es gab Geschrei und ein Gejohle, als hätte sich ein Rudel von Wölfen versammelt. Dann sah Tristan über den Köpfen wie in einer Säule gefangen dichten Rauch aufsteigen, die Menge, an deren Rand er zufällig zu stehen gekommen war, trat auseinander, ein Weg öffnete sich, und ihm kamen, von Soldaten in Harnisch begleitet, drei Priester entgegen, die sich mit gesenktem Blick und in schwere Gewänder gehüllt, eiligst zu entfernen versuchten. Sein Instinkt riet ihm, dieser Truppe zu folgen, während sich die Leute, nachdem sie sich verbeugt und bekreuzigt hatten, wieder schreiend und rufend dem Zentrum des Platzes zuwandten.
    »Hau ab, rubio!«, fuhr ihn einer der letzten Soldaten an, an dessen Fersen er sich geheftet hatte, und fuchtelte mit der Lanze in seine Richtung. Warum habe ich nicht die Kutte mit der Kapuze angezogen?, dachte Tristan. Er schaute sich um und sah einen Stand, an dem Kleider angeboten wurden und auch Kappen und Mützen aller Art. Er überlegte nicht lange, wusste, dass er keine einzige Münze bei sich hatte und dass auch dies ein Fehler war, den er nicht wieder begehen würde, begann zu rennen, schnappte sich eine der Kappen von einem Haken, riss dabei das Kopfband ein,

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