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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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aus den Schenkeln und vom Rücken.
    Doch die Knechte, an Seilen in die Schlucht hinabgelassen, kehrten nicht zurück. Entweder sie waren selbst abgestürzt, zwischen Felsspalten gefangen - oder sie hatten sich mit ihrer Beute davongemacht, dem Tal entgegen. Ob sie es je erreichen würden, bezweifelte Don Silvio. Er musste einsehen, dass er kaum mehr Mittel hatte, um seine Begleiter bei sich zu behalten. Zwei Tage ging es gut, dann begannen die Ersten zu murren. Hunger plagte sie, den sie anfangs durch Wasser zu stillen versuchten, das es durch kleine Rinnsale an den Felsen, durch Schnee in schattigen Felsnischen und plötzlich auftauchende Sturzbäche reichlich gab. Doch je mehr Wasser sie tranken, desto leerer schien der Magen zu werden.
    Thomas bekam anfangs noch immer eine kleine Ration getrockneten Brotes, Feigen und Fleisch von Signore Don Silvio zugesteckt. Nach einem Dutzend Tagen hatte auch der nichts mehr. Die Pferde rieben mit ihren Mäulern Moosfladen und Flechten auf, und die Knechte und Reiter versuchten es ihnen gleichzutun, fraßen das wässrige grüne Zeug in sich hinein und wanden sich wenig später unter Krämpfen.
    Es seien doch nur noch ein paar Tagesritte, beschwor Don Silvio seine Mannen, dann würden sie Corenio erreichen und jeder könne so viel essen und trinken, wie er wollte - nur noch ein paar Tage! Und: Was Pferd und Esel können, kann der Mensch allemal! Das war seine zweite Losung. Doch die Knechte hörten nicht mehr auf ihn. Sie schleppten sich vorwärts, strauchelten vor Kraftlosigkeit und blieben am Boden liegen. Als Don Silvio ihnen befahl aufzustehen, kam ihm nur Stöhnen und das Zucken ihrer Glieder als Antwort entgegen.
    Da glitt dieser Mensch, den Thomas als besonnen und friedfertig von Courvenal angepriesen bekommen hatte, vom Pferd, zog aus dem Gürtel sein Krummschwert, das er von den Moros hatte, und schlug den am Boden Liegenden mit der Schneide in den Hals.
    »Sitzt ab!«, schrie er Thomas an und die Reiter, die auch schon längst nichts mehr Essbares in ihren Taschen hatten, »macht es, wie ich es gelernt habe in der letzten Schlacht bei Beaforsata, macht es wie ich, und ihr werdet überleben!«
    Er kniete nieder, dieser Mensch mit seinem großen Kopf und der kompakten Statur, drückte seinen von einem krausen Bart umgebenen Mund an die Halswunde eines der Ausblutenden und sog dessen Blut in sich hinein. Als zwei der Reiter es ihrem Herrn gleichtaten, stieg auch Thomas von seinem Pferd. Ihm war schwindelig geworden. Er wusste nicht mehr, was vor seinen Augen geschah, und kniete sich gegen das Geröll zu seinen Füßen. Er schloss die Augen und schwor sich, alles - alles in seinem Leben zu tun, niemals aber …
    »Weiter geht’s!«, wurde er aufgefordert. Ein Reiter stieß ihm seinen Fuß in die Rippen. Thomas raffte sich auf, Martin - so hieß der Reiter - half ihm aufs Pferd. »Kümmer dich um die Packpferde, die drei letzten, die anderen übernehmen wir. Signore Don hat uns das doppelte salario versprochen. Mach schon!«
     
    Corenio ~156~ »Gold!«
     
    Das doppelte salario, dachte Thomas und wiederholte den Satz für sich wie eine Verheißung. Er hing halb über seinem Pferd und ahnte, dass er am Ende seiner Kräfte war. Kräfte, die er hatte sammeln können, weil es ihm als Begleiter von Courvenal und seinem Schüler Tristan so gut gegangen war. Warum nur hatte er sie verlassen? Wo mochten sie jetzt sein? Was sollte er mit einem Pferd, wie es ihm Don Silvio versprochen hatte - und was sollte er gar mit zweien? Salario dopio - niemand kann auf zwei Pferden zugleich reiten, niemand kommt mit zwei Pferden doppelt so schnell vorwärts. - Und wohin wollte er denn? Wohin?
    Thomas saß in einer Schenke und trank Wein. Was ihm die Kraft gegeben hatte, den Weg bis nach Corenio zu schaffen, wusste er nicht mehr. Er erinnerte sich daran, dass er die Tiere antrieb, um von ihnen geführt hinter ihnen herzutaumeln. Seine Arme und Beine waren von Dornen und Felskanten aufgerissen, er leckte das Blut von seinen Wunden, als diente es ihm zur Nahrung. Wenn es ihm nicht mehr gelang aufzustehen, riss ihn einer der Reiter hoch und stellte ihn auf die Füße, gab ihm einen Stoß zwischen die Schultern und zwang ihn, den anderen zu folgen. Manchmal war er so erschöpft, dass er sich an den verklebten Schwanzhaaren eines der Pferde festhielt und einen Hügel hinaufziehen ließ.
    Irgendwann kamen sie in Corenio an, das aus nichts als ein paar Hütten und Ställen bestand. Einen ganzen Tag

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