Tristan
Tristan einmal Spielfiguren gesehen, die aus versteinerten Kleintieren bestanden. Damals hatte er keine Münzen bei sich gehabt, und Courvenal hatte sich in einem der Klöster aufgehalten, um zu studieren. Doch jetzt verfügte er über einen Beutel voll mit Geld, was ihm half, seinen Wunsch, feine Kleinodien um sich zu haben, zu verwirklichen. Die Güter, die die Schiffe brachten, waren für ihn alles Dinge aus der unendlichen Ferne der Meere und zugleich vertraut, weil er wusste, wie sie heimisch gebraucht wurden.
»Natürlich komme ich mit!«, versicherte er Rual freudig, legte den Bogen beiseite und gab sich nicht einmal die Mühe, die verschossenen Pfeile wieder aus der Rinde des Baumes zu ziehen, auf den er gezielt hatte. Im Haus beauftragte er einen Knecht, sich darum zu kümmern, und schon wenig später ritt er mit den anderen den Weg hinunter zum Hafen, den sie am frühen Nachmittag erreichten.
Rual hatte nicht zu viel versprochen: In den Gassen zwischen den niedrigen Hütten hatten einige der Schiffer, die vor ihrer Weiterfahrt ein paar Tage ausharren mussten, kleine Stände aufgebaut, auf deren Auslagen sie ihr Gut feilboten. Sie verlangten Münzen oder Salz, getauscht wurde aber auch gegen Trester, gegerbtes Leder oder Wein, je nachdem, was gerade gebraucht wurde und woanders wieder wertvoller sein konnte als in dem Land, in dem man es erworben hatte.
Courvenal suchte zielstrebig nach dem Schiff, von dem er gehört hatte, es habe Papyrusblätter dabei zum Transport nach Irland für die dort lebenden Mönche. Tristan begleitete ihn, denn Courvenal fand mit seinen ausgefallenen Wünschen auch immer Händler, die Dinge mit sich führten, die von besonderem Reiz waren. Was andere in ihrem alltäglichen Leben nicht gebrauchen konnten, gerade das war für ihn von Interesse.
So war es auch diesmal. Der Mönch fand eines der Schiffe, das anscheinend von der afrikanischen Küste her unterwegs war, einem Heckender mit nur einem Segel, aber einem festen Mastfuß, das seine Herkunft nicht verleugnen konnte: Es war für die hohe See gebaut worden und kam wohl von weit her, auch wenn es angab, von Asturien abgesegelt zu sein.
Courvenal wollte unbedingt auf dieses Schiff und verabredete mit Rual und Floräte, sich bei der Herberge zu treffen, dort noch einen Apfelwein zu trinken und gepökeltes Schwein zu essen, um dann rechtzeitig zurückzukehren zur Burg, bevor es Abend würde.
Zur selben Zeit als dieses Gespräch stattfand, traf Inger auf Conoêl ein und erfuhr, dass der Marschall mit seiner Familie bereits zum Hafen aufgebrochen war. Er traf nur noch Linnehard auf der Burg an, berichtete ihm von seinem Auftrag und von diesem Thomas von Brüggen. Linnehard übernahm die Verantwortung, erbrach an Ruals statt das Siegel des Briefes, las ihn und schickte sofort einen Trupp von acht Reitern zu der angegebenen Herberge, um die Fremden gefangen zu nehmen und nach Conoêl zu bringen. Inger selbst sollte über den Nebenweg zum Hafen zurückreiten und Rual Bericht erstatten.
Der Marschall war währenddessen mit seinen Söhnen unterwegs und besah sich die fremden Schiffe im Hafen. Floräte hatte darauf bestanden, noch ein wenig bei den Ständen zu bleiben auf der Suche nach Stoffen. Und Tristan, der gefragt wurde, wem er sich anschließen wollte, beließ es dabei, Courvenal zu begleiten, um die Situation nicht kompliziert zu machen.
So zerstreute sich die Gesellschaft. Tristan saß, während die anderen sich noch verabredeten, auf einem Felsstein am Wegrand und spürte die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht wie ein Versprechen, dass er noch viel Überraschendes erleben werde. Er war >frohen Mutes<, wie sich seine Mutter Floräte gern ausdrückte, wenn sie guter Laune war. Da blickte er sich nach seinen Brüdern um, die ihnen gefolgt waren, und nahm aus den Augenwinkeln heraus beim Stall am Scheideweg zur Herberge eine Person wahr, die er wiederzuerkennen glaubte. Sie stieg gerade auf ein Pferd. »Thomas«, sagte er vor sich hin.
»Komm jetzt, müder Krieger, ein Schiff wartet nicht ewig!« Courvenal stand plötzlich neben ihm, und seine Worte waren wie immer eindeutig und dieses Mal sogar ungeduldig, weil er sein Papyrus bald in den Händen haben wollte.
»Kann es sein, dass ich soeben Thomas gesehen habe?«, fragte Tristan gleichwohl und bekam nur ein mürrisches »Nein« zu hören. Courvenal stand schon mit einem Bein auf einer Planke, die zum Deck des Schiffes führte, das offensichtlich von Norwegern gesteuert
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