Tristan
Gedanken über die Welt, auf der er lebte. Er hatte mit einem der Bootsbesitzer gesprochen, und ihm war versichert worden, dass man ihn direkt nach Conoêl bringen würde. Die Münzen dafür hatte er schon hinterlegt. Doch dann hieß es, man müsse vorher noch an Britanniens Südküste ankern und Güter abliefern. So dauere die Überfahrt eine Woche länger. »Was soll’s«, sagte der Kapitän in plattdütscher Sprache, die Thomas halbwegs verstand, mit dem Gaul brauchte man drei Monate oder mehr. Dann wäre es in Parmenien schon fast Winter.
Schwitzend vor Angst betrat Thomas das Boot. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Schiffsplanken unter seinen Füßen. Darunter war gleich, wie er sich vorstellte, das Wasser. Wie unendlich groß mussten die Quellen sein, aus denen es hervorsprudelte. Vielleicht lebte ja im tiefen Abgrund der See ein riesiges Ungeheuer, das salziges Wasser ausspie und mit seinem giftigen Atem die Wellen erzeugte? Denn kaum waren sie aus dem Hafen ausgefahren, hob und senkte sich die See. Thomas wurde übel, er musste sich übergeben, suchte sich eine Ecke auf dem Boot, wo man ihm einen Strick um den Leib legte und ihn festband, damit er nicht über Bord gespült wurde.
Er lag immer noch neben seinem Erbrochenen, als sie Britanniens Küste erreichten. In einem Hafen namens Seaford wurde geankert. Die Schiffsleute brachten Güter an Land und vom Land aufs Schiff. Das Wasser im Hafen war ruhig, doch der Kapitän des Schiffes ließ Thomas weiter an den Strick gebunden, weil er ahnte, das sein Passagier für immer das Boot verlassen würde, hätte er einmal den Fuß an Land gesetzt. Und die Britannier waren gnadenlos. Pack nannten sie Passagiere, die geflohen waren aus irgendeinem dunklen Grund, um auf der Insel unterzutauchen.
Weil er noch immer angeleint war, jammerte Thomas, bis sich ihm jemand näherte und fragte, was denn geschehen sei.
»Ich will an Land!«, stammelte er in seiner Sprache.
»Wir haben schon abgelegt«, sagte der andere in einem Dialekt, den Thomas verstand, ohne ihn sprechen zu können. Die Stimme kam ihm vertraut vor, doch der Mann, der sich zu ihm gesetzt hatte, sah aus wie ein verarmter Pilger. Er sagte, er sei ein Knappe an Markes Hof. Der König selbst habe ihn, mit einem Sonderauftrag versehen, nach Parmenien gesandt.
»Das ist auch mein Ziel«, erklärte Thomas, stellte sich als Salzhändler vor und fragte, was das für ein Auftrag sei.
»Der König sucht seine Schwester. Ich weiß, dass sie tot sein muss. Er aber will Beweise.«
»Wie heißt die Schwester?«
»Blancheflur.«
Thomas blickte rasch zur Seite und tat so, als sei ihm wieder übel geworden vom Seegang. In Wahrheit war er bis ins Mark erschrocken. Im Aussprechen des Namens hatte er den Britannier wiedererkannt. Es musste einer der beiden Knechte sein, die er auf dem Lagerplatz in der Nähe von Venecia getroffen und die ihm seine Pferde gestohlen hatten. Hoggard oder Pint, das waren ihre Namen.
»Und wie heißt du?« Thomas wischte sich den Schweiß von der Stirn und bedeckte sein Gesicht halb mit einem Tuch.
»Hoggard.«
»Du reist allein?«
»Ganz allein, Herr. Meinen Kumpan habe ich verloren. Er wurde im Schlaf erstochen.«
»Erstochen?! Davon musst du mir erzählen.«
So fanden Thomas und Hoggard wieder zueinander, ohne dass Hoggard Thomas erkannte. Er half ihm dabei, sich loszubinden, und besorgte ihm eine Schale mit Linsen, die Thomas gierig auslöffelte. Währenddessen hatte Hoggard schon mit seinem Bericht begonnen und betonte zwischendurch immer wieder, an alles könne er sich nicht erinnern. Der Mörder, so viel stehe fest, sei einer aus Erui gewesen. Zum Glück habe er nicht entdeckt, was Pint an einem Lederband um seinen Hals trug.
»Was war es denn?«, fragte Thomas wie nebenbei.
Hoggard zuckte ein wenig zusammen und fasste sich mit der Hand an die Brust, wie um etwas festzuhalten oder sich zu vergewissern, dass es noch da sei. Mit einem Seitenblick erkannte Thomas, dass Hoggard ebenfalls solch ein Band um den Hals hatte, allerdings nicht nur eins, sondern drei.
»Es war …«, Hoggard überlegte, »eine Reliquie.«
Eine Goldmünze!, dachte Thomas und beugte sich über den Napf, meine Goldmünze! »Beim Himmel, sind diese Linsen gesalzen!«, sagte er. »Als stammten sie direkt aus dem Meer. Wenn wir wieder an Land sind, sehen wir uns als Erstes nach einer Herberge um, die Wein ausschenkt. Dann können wir am anderen Tag nach Conoêl reiten - gemeinsam, meine ich. Was sagst
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