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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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seinem Gesäß. Tristan flüsterte etwas. Courvenal ahnte, dass er ihn um Verzeihung bat.
    »Vergiss nicht, mein Sohn«, sagte er, »Verstand und Vernunft sind nicht alles. Es gibt auch noch Gott. Und der ist mit uns. Er wird uns helfen. Uns ist Unrecht geschehen. Das weiß er. Und auch das ewige Meer muss sich erleichtern. Ein Sturm wird kommen und fürchterlich sein. Zedernbäume«, sagte Courvenal mit immer leiser werdender Stimme, »und jegliches Gesträuch wird entwurzelt werden und sich in die Lüfte heben«, er musste gähnen, »und dort leben …«
    Tristan hörte noch eine Weile das gedämpfte Rauschen des Wassers und das Quietschen der Spanten und Knarren der Balken, in denen sich die Worte Courvenals verloren, bis er den Kopf auf die Brust fallen ließ.
     
    ■
    Der Sturm Gottes ~175~ Ausgesetzt
     
    Tristan und Courvenal wurden aus ihrem Schlaf gerissen. Das Boot musste von einer querschlagenden Welle fast umgeworfen worden sein. Beide hatten das Gefühl, ihr Leib würde ihnen auf Kopf und Schultern fallen. Courvenal entfuhr ein Fluch, Tristan flehte zu Gott. Noch mehrmals wurden sie auf diese Weise wie Strohbälle in einem Korb durchgeschüttelt. Dann schien sich die See wieder zu beruhigen, und die Luke wurde um einen Spalt geöffnet. »Lebt ihr noch?«, rief eine Stimme.
    »Warum nicht?«, schrie Courvenal wütend zurück. »Was seid ihr für jämmerliche Schiffsleute, die das Boot quer zu den Wellen stellen?«
    »Was verstehst du denn schon davon, du Bettelmönch?«
    »Gott hat den Sturm gesandt, um euch zu bestrafen. Untergehen werdet ihr mit eurer gesamten Fracht!«
    »Unsere Fracht?«, tönte es in die Kammer hinunter. »Das seid doch ihr!« Lachen war zu hören.
    Doch irgendjemand rief auf Nordisch in das Lachen hinein: »Helge, es kommt noch eine dieser Wellen!«
    Die Luke wurde geschlossen. Die See schien zu toben. Courvenal und Tristan wurden wieder hin und her geschüttelt, bis sie aufeinanderrutschten und sich gegenseitig festhielten. Beide schrien sie, als würden sie von bösen Geistern verfolgt. Die Sparren des Bootes krachten und quietschten wie berstendes Gebälk. Tristan fühlte eine Angst, die er bisher nicht gekannt hatte. Er brüllte Courvenal unverständliche Worte ins Ohr, vermischte und verwechselte die Sprachen, die sich in ihm angesammelt hatten und nun zum Klamauk wurden. »Auxili, jemech, compassare, rum an!«, schrie er aus sich heraus, als wären das magische Wörter, mit denen er Gottes Wut und Zorn bändigen könnte.
    Doch nichts geschah, das Wüten des Meeres wurde nur schlimmer. Wieder ging die Luke auf. »Ihr seid das Übel!«, wurde hinunter in die Kammer gerufen, ein Schwall Meerwasser klatschte auf sie herunter, nahm ihnen für Augenblicke die Sinne. Aber bevor der Deckel wieder vor das Loch geschoben wurde, brüllte Courvenal noch einmal hinauf in das graue, zischende Licht: »Lasst ihn frei, setzt ihn aus, schenkt ihm das Leben! Er ist ein Besonderer, ein Sohn aller Götter, ein König unter der Sonne, und die wollen ihn nicht in der Dunkelheit wissen. Lasst ihn frei, sonst werden wir alle sterben. Behaltet mich an seiner Stelle, dann beruhigen sich die Elemente. Versteht ihr?«
    Die Luke ging wieder zu, und mit einem Mal kam auch das Boot zur Ruhe, ganz so als hätte es eine übermächtige Hand an der Mastspitze aus der tobenden See herausgezogen. Anscheinend hatte sich der Wind gelegt, oder sie befanden sich im blinden Fleck des Sturms, wie die Seeleute erzählten, dass sich mitten im tempestas ein Raum befände, in dem einem vor lauter Stille das Hören und Sehen vergehe.
    Dass in dieser Bewegungslosigkeit viel Zeit vergangen sein musste, spürten Tristan und Courvenal nur daran, dass sie immer mehr von Hunger und Durst gequält wurden. Schließlich begannen sie, mit den Händen ihren Urin aufzufangen und zu trinken, sosehr sie sich auch anfangs davor ekelten. »Der ewige Kreislauf«, faselte Courvenal. »Leben lebt nur nach Gesetzen«, ergänzte Tristan, sich an Don Phillippe, seinen spanischen Freund in Barcelona, erinnernd, der in den Flammen seines Hauses starb. Dagegen schrie Courvenal in die Planken, die er direkt über seinem Kopf vermutete: »Befreit euch vom Besonderen, dann habt ihr Frieden!« Doch schon der zweite Halbsatz kam nur noch als Röcheln und Husten aus seiner Kehle hervor, so durstig und kraftlos fühlte er sich.
    »Du sprichst zu den Füßen«, flüsterte Tristan und sah das Bild von nackten Fußsohlen vor sich, die über das Deck liefen,

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