Tristan
ließ.
Drei Glasstunden, nachdem die Sonne aufgegangen war, um bald wieder hinter Wolken zu verschwinden, stand er vor dem Burgtor von Conoêl und verlangte Einlass. Den wollte man ihm zunächst verwehren. Indem er aber darauf hinwies, dass er ein Reisegefährte der Herren Courvenal und Tristan gewesen sei, unbedingt mit den Burgherrn zu sprechen habe, die Namen Rual und Floräte nennen konnte und sogar den von Herman aus Spanien, wurde ihm nach Rücksprache mit der Marschallin Einlass gewährt.
Floräte brauchte einige Zeit, bis sie sich ganz gefasst und die Trauer über das Verschwinden Tristans und den Abschied von ihrem Mann überwunden hatte. Thomas konnte ihr deshalb erst gegen die Mittagszeit seine Aufwartung machen. Er verhielt sich dabei sehr höflich, wedelte mit seinem Hut in der Luft herum, wie er es oft gesehen hatte, wenn Courvenal auf ihrer Reise bei irgendeinem Grafen oder Fürsten eingekehrt war.
Vielleicht kam Thomas mit Floräte deshalb so schnell ins Gespräch und gewann ihr Vertrauen, weil er ihr so viel von den Reisen erzählen konnte. Da er bislang auch nichts vom Verschwinden Tristans und dem Aufbruch des Marschalls erfahren hatte, wirkte er erfrischend unbefangen und half Floräte in diesen Stunden durch sein munteres Reden über die Schwere der Trennung von ihren Lieben hinweg. Als er ihr auch noch davon berichtete, wie er nach und nach vom einfachen Pferdeknecht zum Händler aufgestiegen war, sich mit den Zahlen auskannte, Listen schreiben konnte und sich in einigen Sprachen, sogar in einer orientalischen, zu verständigen wusste, gewann er in Florätes Augen immer mehr an Bedeutung und Wert.
Je länger Thomas über sich und seine Welt sprach, desto mehr verspürte er den Drang in sich, endlich nach Courvenal, seinem früheren Herrn, und nach Tristan zu fragen. Weil ihm Floräte keinen Anlass gab, seine Erzählungen zu unterbrechen, sondern immer nur noch ein Weiteres über ihn selbst von ihm hören wollte, musste er den Eindruck gewinnen, die Herren seien ebenso wie der Marschall zur Jagd ausgeritten und es gäbe gar keinen Grund, seine Bitte um ein Zusammentreffen auszusprechen, weil sie ohnehin erst in ein paar Tagen zurückerwartet wurden.
Erst als am Abend Floräte schon die Magd ausgeschickt hatte, um »dem Herrn Thomas« ein angemessenes Lager zu bereiten, wagte er es kurz vor der Verabschiedung, doch wissen zu wollen, wann er denn …
Floräte erschrak, und gleich sackte ihr das Blut aus den Gliedern, sodass sie sich setzen musste. »Ja weißt du denn nicht…?«
»Was soll ich denn wissen?« Thomas konnte ein Lächeln nicht zurückhalten, woran auch sicherlich der Wein schuld war, den er genossen hatte.
»Dass Tristan, mein Sohn …« - da brachen Tränen aus Florätes Augen hervor. Stockend und schluchzend berichtete sie Thomas, was am Tag zuvor geschehen war. »Niemand weiß, wo er ist«, sagte sie am Schluss voller Verzweiflung, »und mein Mann irrt auf dem Meer umher, als würde er dort in den Wellen wie nach einem über Bord gegangenen Ruder suchen. - Ich bin geschlagen, kenne nur Klagen von vergangenen Tagen und weiß nicht zu sagen, wie soll ich’s ertragen, das Zittern und Zagen.«
Bei diesen letzten Worten begann sie so sehr zu schluchzen, dass Thomas nach der Magd rief, die ihre Herrin auch gleich aus der Kemenate führte. Thomas blieb voller Erstaunen darüber zurück, dass die Marschallin plötzlich bei den letzten Worten in Verse verfallen war, als gehörte ihr Durchleiden des gerade erst Erlebten schon zum Liedgut der Sänger und Barden.
Er goss noch einmal Wein in seinen Becher, trank ihn hastig aus und wartete nur noch darauf, dass die Magd endlich zurückkäme, um ihn zu seinem Lager zu geleiten. Kaum hatte er sich dort entkleidet, löschte er die Lampen, wie er es auch früher getan hatte, als er noch mit Courvenal und Tristan in der Welt unterwegs gewesen war und als Letzter ging, um als Erster am Morgen aufzustehen und sich um Pferde, Gepäck oder ein frühes Mahl zu kümmern.
Ohne zu wissen, warum, fühlte sich Thomas plötzlich wieder wie einer, der Dienst tut, diesmal aber für Herren, die gar nicht anwesend waren. In seiner Kemenate, die er mit zwei Reitern aus des Marschalls Garde teilte, schlief er auf seinem Lager sofort ein, war aber mit dem ersten Hahnenschrei mit den Mägden zusammen auf und verlangte, dass für die Herrin eine kräftige Suppe aufgesetzt werde. Er tat so, als wäre er gleichsam der Aufseher in dieser Burg, verantwortlich
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