Tristan
Rual soll darüber ganz verzweifelt gewesen sein. Du kennst ihn, wie ungeduldig er werden konnte, wenn er nicht bekam, was er wollte. Mit dem Fuß soll er gegen Felssteine getreten haben, als wollte er die ganze Insel von sich wegstoßen. Britannien interessierte ihn nicht, denn damit hatte ja alles Unglück angefangen.«
Courvenal horchte auf. »Warum mit Britannien? Rual verwaltet doch das Lehen des britannischen Königs und tat das, bis auf den Streit mit Morgan, immer zu dessen Zufriedenheit. Auch der verstorbene Fürst Riwalin war dort gewesen, und mit Britannien hat es nie Auseinandersetzungen gegeben. Warum also sein Zorn?«
»Weil die Entführer, wie du besser wissen musst, Norweger waren.«
»Aber sie haben Tristan nicht mehr.«
»Wie soll Rual das ahnen? - Er hat doch nur, wie wir alle es tun, den Auskünften glauben können, die man ihm gab. Und die des Hafenmeisters waren eindeutig gewesen: Das Schiff, mit dem ihr verschwunden wart, wollte nach Norwegen.«
»Tristan ist nicht mehr auf diesem Schiff!«
»Das weißt du! Und was nützt dein Wissen meinem Mann? Wenn nicht einmal du weißt, wo Tristan sich aufhält, wie verzweifelt muss dann Rual erst sein?«
Floräte stand wieder auf und breitete die Arme aus, während sie in dem Saal umherging. »Das Meer«, lamentierte sie, »wie groß ist denn das Meer? So groß oder so groß?« Schließlich faltete sie ihre Arme über der Brust zusammen. »Was sollen wir tun?«, fragte sie mit verzagter Stimme.
Courvenal war ebenfalls aufgestanden. »Wir können nur hoffen«, sagte er leise. Mehr fiel ihm dazu nicht ein, und er war froh, als es in diesem Moment gegen die Tür klopfte. Thomas trat ein. Sogleich nahm das Gespräch eine Wendung. Thomas musste nun Courvenal berichten, was alles ihm nach der Zeit ihrer Trennung in Toledo widerfahren war und wie er nach Conoêl gefunden hatte. Plötzlich hatten die Belange Parmeniens Vorrang, es ging um die bevorstehenden Zinszahlungen. Mit jedem Satz, den der zum Händler gewordene Knecht über die augenblicklichen Verhältnisse im Land von sich gab, geriet Rual den dreien mehr aus ihrem Blick. Große Aufgaben kamen auf Conoêl und Parmenien zu. Morgan hatte schon zwei Boten mit Forderungen geschickt, und noch immer wisse man nicht, wie man sie erfüllen sollte. Thomas sah eine Möglichkeit darin, die Anzahl der Schafe, die man ihm geben könnte, zu erhöhen, statt Korn und Flachs zu liefern. Klüger aber wäre es, sich der Waffen in den Arsenalen zu bedienen und ihn damit zufriedenzustellen.
Das brachte Courvenal auf. »Wir sollen dem, der uns das Blut aussaugt, auch noch die Mittel dazu geben?«
»Die Waffen sind alt«, entgegnete Thomas und hob die Hand. »Das Eisen lohnt nur noch zum Einschmelzen. Wir könnten versuchen, über Euren Freund Herman an bessere Waffen zu kommen, Lanzen mit Widerhaken, Schwerter aus festerem Eisen, bessere Armbrüste. Vor allem Pferde brauchen wir - in unseren Ställen stehen nur klapprige Gäule, die wir ebenfalls Morgan überlassen könnten. So befriedigen wir seine Gier. Was er von uns bekommt, sieht er sich ohnehin nicht an, Hauptsache seine Gehilfen können ihm die Menge des Gelieferten vorzählen. Ohne dass er es weiß, holen wir uns frische Tiere, verleihen sie an unsere fränkischen Nachbarn im Osten und holen sie uns wieder, wenn wir sie brauchen.«
»Brauchen wofür?« Courvenal war so erstaunt über Thomas’ Vorschläge, dass er das Gefühl hatte, nur unbeholfene Fragen stellen zu können. »Für den Tag, an dem wir Morgan in seine Grenzen zurücktreiben.«
»Wann soll dieser Tag sein?«
»Was weiß ich? Doch er wird kommen.«
»Wie kannst du so etwas behaupten?«
»Ich habe von Euch viel gelernt.«
»Was?« Courvenal starrte den jungen Mann an. »Über die Zeit.«
»Was: über die Zeit?«
»Wer mehr von ihr verlangt, als sie einem geben kann, habt Ihr einmal gesagt, macht sich verletzbar.«
»Habe ich gesagt?«
»Ihr.«
»Wann?«
»Nachdem Ihr mir von den irischen Häschern erzähltet, die Euer Lager nahe der flämischen Grenze überfallen und zerstört haben.«
»Davon habe ich dir erzählt?«
»Bei einem Halt, kurz bevor wir Bobbio erreichten. Es war der Abend, als Herr Tristan nach seinem Glas verlangte.«
Courvenals Augen begannen zu glänzen. Er trat auf Thomas zu und umarmte ihn. Die gemeinsamen Erlebnisse kamen ihm wieder in den Sinn, und diese Erinnerung erzeugte ein Gefühl der Verbundenheit, die er in sich verspürte wie seinen Herzschlag.
»Nie
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