Tristan
mehr sagst du >Ihr< zu mir«, flüsterte er Thomas ins Ohr und sagte dann, auch für Floräte hörbar: »Wir sind Freunde, und dein Rat ist gut und überlegt. Wir wollen alles so ausführen, wie du es vorgeschlagen hast, und darauf warten, dass Rual zurückkehrt, mit oder ohne Tristan. Dann werden wir Morgan zeigen, wer die Herren in Parmenien sind, und die ursprünglichen Zustände wieder herstellen. Bis dahin halten wir den Atem an und stellen uns tot - und wenn es ein paar Jahre dauern müsste.«
Drachenfeuer am Himmel ~ 184 ~ Bis ins Fegefeuer
Fast drei Jahre dauerten Ruals Irrfahrten auf dem großen Meer. Nachdem er sein eigenes Schiff mit seinen Leuten nach Parmenien zurückgeschickt hatte, fand er ein Handelsschiff, das ihn dorthin mitnahm, wo er hinwollte: nach Norwegen. Sie umsegelten die britannische Insel im Osten und gerieten dank heftiger Westwinde an die Küste der hundert Könige.
»Überall, wo wir an Land gehen könnten«, erklärte der Bootsführer, der selbst aus Portugal stammte, die Fahrt aber schon zum dritten Mal unternahm, »findest du ein anderes Land und einen anderen König. Das geht bis dort hinauf, wo es in der Sommerzeit keine Nacht gibt und während des Winters keinen Tag. Und jedes Mal wenn ich zu ihnen komme, haben die Könige einen anderen Namen. Hier erschlägt der Sohn seinen Vater oder der Vater seinen Sohn, je nachdem, wie es an der Zeit ist. Und die Berge sollen von Geistern und Drachen bewohnt sein, die vom Weltende herstammen. Ihre Haut ist mit einer Eiskruste überzogen, ihr Leib ist voller Glut, und wenn sie ein einziges Mal zwischen den Monden ihren Atem ausstoßen, verwandelt sich der Himmel in ein grünes und gelbes Feuer.«
»Grünes und gelbes Feuer?«, wiederholte Rual voller Zweifel und lächelte darüber, bis er es selbst am Himmel sah. Er sank dabei zitternd auf die Knie, weil der Himmel in der Nacht leuchtete und sich in Lichtschwaden zerteilte, die über seinem Kopf hinzogen. Unendlich groß mussten die Mäuler dieser Drachen sein, unendlich weit entfernt krochen sie wohl aus dem Weltende hervor. Ihn wunderte nur, dass er kein Fauchen und Brüllen hörte und dass Gott nicht eingriff und die Drachen vernichtete. Nur die Wellen des Meeres schwappten gegen die Bootswand, der Wind trieb das Schiff vorwärts, und irgendwann erschien der Bootsführer wieder neben ihm und deutete in die Dunkelheit, nannte einen Namen, als würde er einen Geist beschwören, und sagte, dort würden sie anlegen in der Stunde, wenn es Tag würde. Tatsächlich fand das Boot immer wieder eine Bucht zum Ankern. Der Tag, der nur zwei Glasstunden andauerte, erhellte die Umgebung, die aus unermesslich hohen Bergen bestand, hinter denen nichts anderes zu vermuten war als ein endlos tiefer Abgrund.
In den Buchten standen oft nur ein paar Hütten. Dorthin kamen die Jäger und brachten Tierfelle, die der Bootsführer Pajol gegen Salz, Zucker, Bienenwachs und manchmal auch feine orientalische Stoffe tauschte.
»Die Leute hier sind voller Gier danach«, sagte er dann lachend und rieb sich die Hände. »Aber irgendein König, der Bitur oder Kenganur heißt, und den nächsten nennt man dann Bitur II, dann kommt Kenganur IV, und immer so weiter - ganz gleich, sie brauchen Kleider für ihre Hochzeiten, und da wollen sie keine Tierfelle, sondern ein Gewebe, das die Sonne in sich gespeichert hat. Die Sonne, mein Mareschall Rua, die Sonne können sie nicht anbeten. Sie ist zu selten da. Also glauben sie an die Götter, die in den Bergen wohnen und die Erde erzittern lassen, wenn sie niesen. Verstehst du?«
Pajol lachte. Er lachte wie stets, wenn er mit Rual sprach, den er immer nur »Mareschall Rua« nannte, weil er den Klang des Wortes »Mareschall« so schön fand, das er irgendwann einmal in Asturien gehört hatte. Ein Mareschall war für Pajol ein reicher Mann, und Rual hatte ihm gleich zu Beginn der gemeinsamen Reise den Beutel mit den Münzen gezeigt. Das werden meine Münzen sein!, hatte Pajol gedacht und sich geschworen, es Rual auf seinem Boot gut gehen zu lassen, bis er ihn irgendwann in irgendeiner Bucht einfach vergessen würde. Denn Rual, kaum waren sie irgendwo angekommen, verließ eilig das Boot und fragte jeden, den er traf, danach, ob ihm ein »Tristan«, ein blonder Jüngling, begegnet sei. Er bot Münzen für die Auskunft, er bettelte manchmal regelrecht darum, dass die Menschen, auf die er traf, ihr Schweigen brachen, ohne daran zu denken, dass sie ihm nur deswegen nicht
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