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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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    »Was hast du mit deinem Schwert ausgerichtet?« Isolde stellte Fragen in der Art, wie man sie an Kinder richtet.
    Tristan starrte sie an. »Wo bin ich denn?«, fragte er. »Und wie kam ich hierher?«
    »Was hast du mit deinem Schwert getan?«, wollte Isolde noch einmal wissen.
    »Ich traf das Untier mit meiner Lanze durchs Auge in seinen Schädel, dann schnitt ich ihm mit meinem Schwert die Zunge aus dem Hals.« Tristan sagte diese Sätze nicht mehr als Tantris, sondern als Tristan, und gestand: »Danach verließ mich alles um mich herum. Ich weiß nicht mehr, was genau geschah, noch wer mich gefunden hat.«
    Isolde ignorierte diese Bemerkung. »Mein Truchsess«, sagte sie hart und klar, »hat mir berichtet, er habe den Drachen erschlagen.«
    »Es war kein Drache«, erwiderte Tristan. Er spürte, wie er müde wurde.
    »Er hat dem Tier …«
    »Ein Bär muss es gewesen sein, ein riesiger Bär …«
    »… den Kopf abgeschlagen und will ihn hier vor Gericht bringen, um das Pfand dafür zu bekommen …«
    »Eure Tochter … Unverdient… Die Zunge … Ich bin es doch, der …« Tristan konnte vor Schwäche kaum weitersprechen. Er hatte Angst davor, dass ihm nun auch noch die Wahrheit zur Lüge wurde. »Dann werde ich« - er richtete sich noch einmal auf - »den Truchsess zum Kampf fordern. Ich werde ihm … selbst… den Kopf abschlagen.« Er sank zurück und stammelte: »Die Zunge … ich weiß nicht mehr, wo die Zunge …«
    Isolde stand auf und war höchst zufrieden. Der Spielmann war ein Held in ihren Augen. Eilig begab sie sich in ihr Gemach, traf dort auf Gurmûn, Isôt und Brangaene und schwor vor ihnen, diesem ehrlichen Spielmann in allem helfen zu wollen und ihm stets zur Seite zu stehen. »Er hat die Wahrheit gesagt«, erklärte sie und wiederholte nochmals ihren Schwur mit Worten, die nicht einmal Gurmûn verstand: »Heijak dot wafän Tantrith!«
    Da Isolde wusste, dass Tantris sich nicht nur in mehreren Sprachen verständigen und mit Instrumenten umgehen konnte, sondern auch mit Waffen - wie hätte er sonst das Untier erlegen können! -, hoffte sie, dass es ihm gelingen könnte, tatsächlich dem Truchsess den Kopf abzuschlagen. Seine Vermählung mit Isôt, nun, die zu verhindern, könnte man schon irgendwie arrangieren. Durch eine entsprechend vollgefüllte Schatztruhe, die er nach Hause mitnehmen würde, wäre er sicher zum Verzicht bereit für seine Sippe. Für den Rest seines Lebens hätte er sein Auskommen. Seine Kinder würden dann seinen Gesängen lauschen, und er könnte ihnen sogar ermöglichen, Knappen zu werden. Ein, zwei Tage, erklärte sie Gurmûn, würde er noch brauchen, bis er wieder seine Kräfte gesammelt hätte. Beste Speisen, kräftigende Suppen wollte sie ihm bringen lassen und viel Fleisch, am Spieß gebraten. Gurmûn war mit allem einverstanden, und so wurde die Verhandlung mit dem Truchsess auf den fünfundzwanzigsten Tag des Monats festgelegt. Isolde triumphierte schon und schickte die Tochter in ihr Gemach, sie solle sich um nichts mehr Gedanken machen. Und weil sie sich ihres Plans so sicher war, beauftragte sie Brangaene, ihrem Vater Hägon zu befehlen, die Steine zu werfen, und zwar noch in dieser Nacht!
    Isôt und Brangaene sahen sich an. Selten hatten sie die Königin so aufgewühlt gesehen, so siegesgewiss. Beide verabschiedeten sich mit einer Verbeugung, um nicht in diesen Sog der Selbstgewissheit mit hineingezogen zu werden. Als auch Gurmûn gegangen war, ließ sich Isolde von Finley das Schwert von Tantris holen, »das Schwert, das dem Truchsess den Kopf abschneiden wird!«
    Finley brachte das Schwert. Es war voll von Moder und Blut. Isolde hieß ihn, es reinigen. In dieser Nacht wollte sie sich samt diesem Schwert auf ihr Lager betten, sie wollte es umarmen, wenn sie aufwachte. Es würde das Schicksal ihres einzigen Kindes, das sie hatte, zum Guten wenden. Gurmûn, ihr Gemahl, zog es zu ihrem Bedauern vor, statt ihrer die Mägde im ganzen Land zu schwängern. Wut überkam sie, und sie konnte nicht einschlafen.
    Als der Morgen graute, fuhr sie mit der Hand über die Klinge des Schwerts und entdeckte eine Scharte in der Schneide. Mit einem Mal hellwach lief sie mit der Waffe ans trübe Licht, das durch das kleine Fenster brach. Was nicht makellos war, machte sie misstrauisch. Sie sah sich das Schwert dieses Tantris genauer an. Das war nicht das Schwert eines Spielmanns! In den Griff waren zwei Wappen einziseliert, die nur einem Königshaus entstammen

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