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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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konnten. Einen Eber erkannte sie, Trauben und eine Taube. Und was sie unter ihren Händen spürte, war keine Scharte, sondern da fehlte ein ganzes Stück im Eisen!
    Da sie in ihren Verdächtigungen nicht anders konnte, als misstrauisch ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, erinnerte sie sich an den Eisensplitter, den sie aus ihres Bruders Kopf gezogen hatte. Sie holte das Holzkästchen, in dem sie das Bruchstück verwahrte, und setzte es in die Scharte der Schwertschneide ein: Der Splitter passte so genau, dass er sogar haften blieb.
    Isolde war wie vom Schlag getroffen. »Tantris«, stammelte sie, die Silben trennend. »Es ist alles - eine Verkehrung: Tristan!«, formte ihre Zunge wie von selbst den richtigen Namen. Die Wunde, das Gift, das Schwert - der Feind als Freund mitten in ihrem Haus. Ein Ritter aus Britannien, der ihren Bruder getötet hatte!, als Spielmann verkleidet, um sich in ihr Leben einzuschleichen. Aber er hatte auch das Untier überwältigt, die abgeschnittene Zunge war der Beweis. Und nun war er entschlossen, sich dem Truchsess im Zweikampf zu stellen. Es gab für Isolde keinen Zweifel daran, dass er diesen eitlen, selbstgefälligen, hochnäsigen McWighn, dessen Familie aus Scotia stammte, dass er diesen Eindringling in ihr Reich, der die Hand ihrer Tochter forderte, dass er diesen Lügner töten würde!
    Isolde schrie gellend, noch immer das Schwert in der Hand haltend, nach Finley. »Schaff mir den Truchsess herbei, sofort! Und wenn er in seinem Nachtkleid kommt, es ist mir einerlei.«
    Finley stürmte los. Der Truchsess schlief in einem Nebenhaus der Burg. Als Finley dort ankam, öffnete ihm niemand die Tür, so heftig er auch dagegenklopfte.
    Inzwischen hatte Isolde Elva, eine der im Flur nächtigenden Mägde, zu den Gemächern ihrer Tochter geschickt, um sie zusammen mit Brangaene zu sich zu befehlen. Ein außerordentlicher Rat sei einzuberufen. Das Schwert hatte sie in eine Truhe gelegt, zusammen mit dem Splitter in der Schachtel. Schnell kleidete sie sich an und begann, auf die Rückkehr von Finley und Elva zu warten. Als die Sonne immer höher stieg und niemand kam, schwor sie, Finley und Elva hart zu bestrafen oder besser noch aus der Burg zu weisen. Dann entschloss sie sich, selbst nach dem Truchsess und nach Isôt zu schauen, obgleich dies unter ihrer Würde war.
    Auf dem Weg zum Nebenhaus kam ihr Elva entgegen. Die Magd war aufgebracht und außer Atem, überall habe sie nach der Königin Tochter gesucht, doch die Gemächer seien leer, und auch auf den an den Wald grenzenden Wiesen habe sie niemanden gefunden. Finley sei ebenfalls ganz verzweifelt, weil der Truchsess nicht zu Hause wäre, deshalb sei er hinunter zum Hafen gelaufen. Er habe gehört, dass weit vor der Küste ein großes britannisches Schiff mit zwei riesigen Segeln gesichtet worden sei.
    Isolde war über all diese Nachrichten maßlos erstaunt. Sie konnte sich keinen Reim aus dem Gehörten machen, aber auf eine bestimmte Weise mussten die Ereignisse zusammenhängen und einen Sinn ergeben. Sie eilte zu König Gurmûn, um ihn von ihrer Entdeckung zu unterrichten, und traf ihn schlafend in seinem Zimmer an, neben ihm eine Magd, die zur Gefolgschaft des Grafen von Moghan gehörte. Mit ein paar bösen Flüchen riss sie das Fell weg, unter dem die junge Frau splitternackt lag, und rüttelte Gurmûn an der Schulter, nachdem die Magd sich endlich davongemacht hatte.
    »Gurmûn«, sagte sie, »wach auf. Mir ist gleichgültig, was für ein Leben du führst. Aber hier geschieht etwas hinter unserem Rücken, das mit unserem Land zu tun hat. Der Spielmann Tantris ist in Wahrheit ein Ritter Markes. Er war es, der meinen Bruder getötet hat, und jetzt will er sich unsere Isôt holen, denn er ist es auch gewesen, der das Untier erstach. Vor unserer Küste liegt ein britannisches Schiff, und der Truchsess scheint wie vom Erdboden verschwunden. Steh auf, Gurmûn, und hilf mir!«
    Gurmûn wusste nicht, wie ihm geschah. Sein Körper war mit den Jahren schwer geworden, sein Haar verfilzt, weil er es nicht pflegen ließ. Er hatte Isolde immer wieder deutlich gemacht, er habe ein Recht darauf zu leben, wie er es wolle. Schließlich sei er der König Eruis. Nun konnte er nicht begreifen, warum Isolde so aufgeregt war. Spielmann, Ritter, Britannien - diese Wörter kreisten in seinem Kopf und ergaben keinen Sinn. Und was hatte sein Neffe, der Truchsess, damit zu tun? Er wusste, dass Isolde den Mann abstoßend fand. Aber die Geschichte mit dem wilden

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