Tristan
Unterstand ritt, jemand griff in die Trense von Riwalins Pferd und fragte nach seinem Namen.
»Was brauchst du einen Namen? Hast du keine Augen im Kopf?« Riwalin deutete auf seinen Helm.
»Der Reiter mit der roten Feder«, sagte jemand unter den Knappen.
»Der zweite!«, verbesserte ihn ein anderer.
»Wieso der zweite?« Wieder die Stimme eines Knappen.
»Weil der erste schon da war!«
»Und wer ist dann der richtige?«
Verwirrung entstand. Die Knappen begannen, aufgeregt miteinander zu reden. Riwalin sah sich nach Bodan um. Aber durch die engen Sehschlitze seines Visiers nahm er immer nur einen Teil der Jungen wahr, einen Haarschopf, eine Schulter, eine winkende Hand. Riwalin konnte Bodan nirgends erblicken, er schien verschwunden. Da traten die Knappen plötzlich auseinander, und auf Riwalin kam ein Ritter zugeritten, der stolz die Lanze an die Schulter gelegt hatte und sich an den Stallmeister wandte: »Was ist hier los? Wer ist der Ritter?«
»Er sagt, er sei der Reiter mit der roten Feder.«
»Das bin ich«, sagte der fremde Reiter. »Und Ihr müsst Riwalin sein, Fürst von Parmenien.«
»Seid Ihr sicher?«, antwortete Riwalin stockend. Noch immer konnte er Bodan nicht erblicken, und dann bemerkte er, dass sein Gegner auf einem viel kräftigeren und höheren Ross saß als er. Einen Moment lang war er eingeschüchtert, doch dann fragte er frech: »Seid nicht Ihr dieser Riwalin von der fränkischen Nordküste? Und wenn Ihr der nicht seid, nennt mir Euren Namen.«
»Ich kann Euch meinen Namen nicht nennen.«
»Habt Ihr ihn vergessen?«
»Nicht alles, was man nicht sagen will, muss man vergessen haben. - Und was ist mit Eurem Namen, könnt Ihr Euch nicht mehr an ihn erinnern?«
»Wie sollte ich, wenn ich doch der Ritter ohne Namen bin?«
Unter den Knappen entstand Gelächter, einige klatschten sogar in die Hände. Der andere Reiter griff in die Zügel seines Pferdes. Es bäumte sich halb auf und begann zu wiehern. Gleichzeitig erscholl von der Tribüne her der Klang des Horns, das die Reiter dazu aufforderte, ihre Ausgangsstellung einzunehmen. Und da sich nun der Ritter ohne Namen außerhalb der Stallungen befand, musste er wohl oder übel sein Ross wenden und zur gegenüberliegenden Seite reiten. Kaum geschah dies, trat Bodan an die Seite seines Herrn heran.
»Wo bist du gewesen?«, fuhr ihn Riwalin mit gedämpfter Stimme an, indem er sich gegen den Hals des Pferdes beugte. »Und warum weiß ich nichts davon, dass dieser Ritter Namenlos auf einem Pferd sitzt, das meines an der Schulter um eine halbe Elle überragt?«
»Herr, ich wollte Euch nicht… ich wusste ja nicht…«, stotterte der Knappe.
»Siehst du wenigstens den König?«, schnitt Riwalin ihm das Wort ab. »Ist sein Platz besetzt?«
»Gerade eben ist er gekommen«, sagte Bodan, »und neben ihm sitzt seine Schwester Blancheflur. Man sagt, sie sei wunderschön.«
»Das habe ich auch schon gehört«, erwiderte Riwalin unwirsch. »Sag mir lieber, wie ich diesen fremden Reiter von seinem Ross stoßen soll, wenn er mich von oben herab mit seiner Lanze erschlagen könnte!«
»Dann stecht ihm eben ins Bein.« Bodan sagte das leichthin, aus bloßer Laune und Aufregung heraus, denn soeben erscholl zum zweiten Mal das Horn und ließ keine Zeit mehr für Überlegungen zum bevorstehenden Kampf. Riwalin musste hinaus auf den Parcours, und Bodan machte sich aus dem Staub, damit nicht jeder gleich wusste, wer der wirkliche Ritter ohne Namen und wer Riwalin war. Unwillig drückte der Parmenier seinem Pferd die Sporen in die Flanken und ritt mit seinem unruhig tänzelnden Pferd auf den Platz. Da von der gegenüberliegenden Seite her der andere Reiter zur gleichen Zeit ebenfalls aufritt, brauste von der Tribüne freudiges Klatschen und Gejohle auf, das aber plötzlich verstummte, nicht weil der Ausrufer die Hand gehoben hätte, sondern weil den Zuschauern mit einem Mal bewusst geworden war, dass die beiden Reiter die gleiche Rüstung trugen und am Helm eine rote Feder hatten.
Noch zögerte der Ausrufer, bis er den Kampf ankündigte zwischen »Riwalin, Fürst von Parmenien und dem Reiter mit der roten Feder«. Kaum waren seine Worte im Burghof verhallt, brachen die Leute in Gelächter aus und wollten vom Ausrufer wissen, wer denn der wahre Riwalin sei: »Der da oder der da?« In das Rufen hinein erklang der dritte Stoß aus dem Horn des Turnierleiters. Beide Reiter gaben ihren Pferden die Sporen und stürmten entlang der Barriere im Galopp aufeinander
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