Tristan
Öfteren mit ihr allein in der Kemenate war, wurde Florätes Ahnung zur Gewissheit, dass Riwalins Frau - so hatte er sie vorgestellt - etwas verbarg. Sie äußerte ihren Verdacht gegenüber Rual, der ihr Misstrauen erst als Hirngespinst abtat und andererseits begann, Blancheflur und Riwalin mit verstohlenen Blicken zu verfolgen und mehr auf die Zwischentöne in den Berichten Riwalins als auf die Begeisterung über seine Erfolge zu achten. Was seine ritterlichen Taten betraf, so gab es keine Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Darstellung. Sobald aber Blancheflur ins Spiel kam, wurden seine Worte allzu gewählt, die Farben allzu bunt und das Glück schien so unverdient, dass es eher einem Lied als dem Leben entsprungen sein musste.
Mein geliebter Herr spricht, so scheint mir, schrieb Rual damals in das Buch, mehr hinter seinen geschlossenen Augen als aus seinem offenen Mund. Was er in sich sieht, mag wohl wahr sein, was ich höre, klingt jedoch wie im Fieber gesagt. Der Blick auf das, was ist, scheint gebrochen in einem zweiten Bild.
Was er mit diesem »zweiten Bild« meinte, war Rual selbst nicht ganz klar gewesen. Er hatte den Ausdruck stehen lassen, weil er darin seine Skepsis aufgehoben fühlte, ob sein Herr bisweilen nicht auch in seinen Schilderungen maßlos übertrieb.
Illusionen ~43~ Vier Drachen, zwei Brakteat
Riwalin, der den unbekannten Ritter geschlagen hatte, bejubelt worden war, mit König Marke an einer Tafel gesessen und in die Augen Blancheflurs geblickt hatte, konnte alles nur so darstellen, als hätte er sich in einem rauschhaften Zustand befunden.
In der Nacht nach dem Fest wälzte er sich auf seinem Lager, konnte keinen Schlaf finden und nur an das Eine denken: Jeden weiteren Kampf wollte er gewinnen und mit jedem Kampf ein Stück mehr von Blancheflurs Herz. Dass ihm an diesem Tag bei seinem Sieg die Göttin des Glücks zur Seite gestanden hatte, wollte er nicht wahrhaben. Für ihn gab es nur noch Blancheflur. Er sah sie im ungetrübten Schein seiner Träume und konnte nicht aufhören, ihren Namen zu flüstern.
Am folgenden Tag weckte Bodan seinen Herrn erst gegen Mittag. Riwalin war erbost darüber, doch Bodan beruhigte ihn: Riwalin war in die Endrunde des Turniers aufgestiegen. Man gönnte ihm einen Tag Ruhe, bevor er auf Geiwan treffen würde.
Riwalin zuckte zusammen, als er den Namen hörte. »Geiwan?«, fragte er. »Der Geiwan?«
»Ja, Herr. Markes ruhmreichster Ritter.«
»Wurde nicht erzählt, er sei im Kampf bei den Welschen?«
»Gestern ist er von dort zurückgekehrt. Kilian meinte, Ihr müsstet ihm begegnet sein auf dem Fest.«
»Kilian, der Knappe?«
»Eben der, Herr.«
»Und du, hast du diesen Geiwan schon gesehen?«
»Noch nicht, aber viel über ihn gehört. Man nennt ihn den Drachentöter.« Riwalin musste lachen: »Wie viele hat er denn getötet?«
»Vier, mein Herr.«
Riwalin lachte noch lauter und richtete sich auf seinem Lager auf. »Und das glaubst du?«
»Alle glauben es.«
»Es gibt keine Drachen, Bodan!« Riwalin wurde ein wenig ärgerlich und begann sich anzukleiden. »Natürlich nicht.«
»Und warum auf einmal nicht mehr?«
»Weil Geiwan sie alle getötet hat!«
»Dass der Teufel dich …«, entfuhr es Riwalin, während er sich das Hemd überstreifte. Er unterdrückte das Wort, das nun folgen musste. Bodan war ergeben, aber dumm, jedoch nicht dumm genug, um ihn nicht etwas später an die versprochenen Brakteat zu erinnern. Widerwillig gab er dem Knappen die Münzen und ließ sich eines der Pferde bringen.
Das Fürchten gelehrt ~44~ Was keine Lüge ist
Blancheflur ritt an diesem Tag gegen Mittag aus der Burg. Sie wollte eine Base besuchen, die guter Hoffnung war. Das Gehöft lag ein paar Meilen entfernt, der Weg dorthin führte am Lager der Turnierritter vorbei. In irgendeinem der Zelte wohnte dieser Fürst aus der Grafschaft Parmenien, das wusste sie. Zu gern hätte sie den jungen Mann wiedergesehen. Sie hatte ihren Wunsch sogar gegenüber Marke geäußert.
»Bist du von Sinnen?«, hatte ihr Bruder sie nach dem Fest angefahren. »Schlag dir den Gedanken samt diesem Parmenier aus dem Kopf. Er ist dir nicht gleichgestellt.«
Sie waren auf dem Weg zu ihren Gemächern, die nah beieinanderlagen. Marke hatte es so gewünscht, als der Wohntrakt etwa ein Jahr zuvor fertiggestellt wurde. Seine Schwester wollte er immer in seiner Nähe wissen, deshalb duldete er auch keinen anderen Mann. »Außerdem ist dieser Parmenier nichts als ein
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