Tristan
Nacht an der Seite der Bauernmagd Hon verbracht hatte - ganz so, und vielleicht sogar wortgetreu, wie es ihm geschildert wurde, wie dies niemals hätte geschehen dürfen.
Wir lagen, hatte Rual geschrieben und fühlte sich beim Lesen so, als wäre er in dieses »wir« eingeschlossen, wir lagen Seite an Seite. Zwischen Riwalin und Hon aufgerollt seine Decke aus Schafsfell, die er immer bei sich hatte. Hon hatte ihn nicht verführen können, er blieb unbekümmert für die Königin. Auch hatte er sich vorgenommen, nie aus dem Schatten des Kirschgartens herauszutreten und zu den Wiesen zu gehen, auf denen die Zelte der Dirnen standen. Aber sehen wollte er sie: die schönen Frauen, wie ein Jäger das Wild. Es war alles so reizend, dass ich an mir selbst es tat, was fern mir winkte.
Rual erschrak von Neuem und blickte sich um. Indem er gelesen hatte, dass er in seinem Bericht wieder ins »Ich« gerutscht war, fühlte er sich beobachtet. Doch um ihn herum war nur der dunkle Raum. Gleichwohl fühlte er Furcht, und seine Hände wurden feucht. Er brauchte eine geschliffene Klinge, um dieses »Ich« auszukratzen, auf dem minderwertigen Pergament ließ es sich nicht wegreiben mit Öl oder Wasser. Dass er an sich selbst es tat, was fern ihm winkte, musste es natürlich heißen. Am besten wäre es, die ganze Seite herauszuschneiden, überlegte er. Doch dann wäre auch die Rückseite verloren, die er wie alle Blätter in diesem Buch fein säuberlich in breiten Spalten beschrieben hatte.
Er rückte das Öllämpchen näher an den Folianten heran, nahm seinen Dolch aus dem Gürtel und kratzte das »ich« und zweimal das »mir« so lange aus der Oberfläche des Pergaments, bis drei Löcher entstanden waren. Welche Buchstaben dadurch auf der Rückseite ebenfalls verschwanden, kümmerte ihn nicht. Er schaute auch nicht nach, legte den Dolch weg und schwor sich, ihn noch an diesem Tag vom Schmied so schärfen zu lassen, dass er sich damit seine Barthaare abrasieren könnte. Gleichzeitig tastete er mit den Augen über das Blatt zur nächsten Zeile, ob das »Ich« noch einmal auftauchte. Doch da stand:
Am nächsten Morgen stand Riwalin mit der Sonne auf und wollte nach Bodan rufen, als er in seinem Rücken jemanden leise stöhnen hörte. Rasch drehte er sich um und sah, wie sich die Magd auf seinem Lager von einer Seite auf die andere drehte.
Nackte Beine ~39~ Rote Farbe
»Was machst du hier?«, fuhr Riwalin sie zornig an, nachdem er sie wachgerüttelt hatte.
»Du selbst, mein Herr, warst es doch, der mich zu sich aufs Lager gebeten hat.« Hon rieb sich die Augen, weil Tränen in sie getreten waren.
»Ich bin nicht dein Herr. Mach, dass du hier wegkommst!« Er riss die Decke von ihr herunter und sah zum ersten Mal in seinem Leben die nackten Beine einer Frau. Erschrocken wandte er sich ab. Hon floh vom Lager, zog sich hastig ihre Kleider über und verschwand aus dem Zelt.
Riwalin rief nach Bodan. Der kam nur wenig später durch denselben Spalt im Vorhang herein, durch den die Magd sich davongeschlichen hatte.
»Ist sie dir begegnet?«, fragte Riwalin ohne ein Wort der Begrüßung.
»Wer soll mir begegnet sein?« Bodan zog seine Jacke zurecht.
»Hast du etwas gesehen?«
»Was soll ich gesehen haben? Ich habe eben noch geschlafen. Mein Herr …«
»Schon gut, schon gut«, wehrte Riwalin ab und hob die Hand. »Lauf jetzt zum Turnierleiter und erfrage, wer heute mein Gegner sein wird.«
»Das ist schon längst bekannt, mein König.«
»Warum weiß ich nichts davon? - Wer ist es?«
»Man nennt ihn den Reiter mit der roten Feder.«
»Wer soll das sein?«
»Niemand kennt seinen Namen.«
»Ist das alles? Mehr erzählt man sich nicht?«
»Ein Knappe des Königs hat mir verraten …« Bodan musste gähnen.
»Was?«
»Es sei einer von Markes besten Rittern. Unbesiegt. Namenlos. Er reitet auf, gewinnt den Kampf und reitet wieder davon. Er verzichtet auf seine avantage, grüßt die edlen Jungfrauen nur von fern und gibt jedem Knappen des Königs einen Brakteat. Und weil König Marke immer, wenn der Reiter mit der roten Feder auftaucht, auf der Tribüne fehlt, geht sogar das Gerücht…«
»… der unbekannte Ritter sei König Marke selber«, vervollständigte Riwalin den Satz und begann zu lachen. Aber der Gedanke war ihm unheimlich. An dieser Geschichte konnte irgendetwas nicht stimmen.
»Wer hat dir das alles erzählt? Ein Knappe, sagtest du? Ein Knappe namens Kilian?«
»Genauso nennt er sich. Herr, woher wisst Ihr
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