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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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unterwürfig zu sein, stets ergeben. Sie war eine Vertraute, auf die sich die beiden Liebenden bedingungslos verlassen konnten. Und sie hatte die Gabe des Voraussehens: Sie witterte die Gefahr, ahnte das Kommende, warnte vor Unbill, hasste die Ungewissheit und konnte deswegen oft nicht schlafen.
    Als sich Tristan an diesem frühen Morgen endlich aus dem Flur davonschlich, um noch einmal unter die Decken seines Lagers zu kriechen, war Brangaene froh, dass es keinen Streit zwischen ihm und Marke gegeben hatte, und war gleichwohl beunruhigt über das tiefe Misstrauen des Königs seinem Neffen gegenüber. Durch die Tür hatte sie die Namen Marjodô und Melôt gehört, zwei Menschen, die sie nicht ausstehen konnte. Sie kannte die Gerüchte über deren Bruderverwandtschaft - und glaubte keinem einzigen. Sie glaubte nur an das, was sie sah.
    Die beiden, Marjodô und Melôt, lebten wie die Maden im Speck. Marjodô kümmerte sich um die Angelegenheiten der Burg, machte sich also immerhin nützlich. Melôt hingegen war für sie eine Zecke, die sie nach einem alten Wort ihrer Sprache ketsch nannte. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, anderen mit dümmlichen Sprüchen die Zeit zu vertreiben. Er war überall und nirgends. Wenn es aber Essen gab, war Melôt stets der Erste, der sich seine Schüssel holte. Seine Kleider und Schuhe schneiderte er sich aus abgelegten, von Rittern zurückgelassenen Sachen zusammen, aus Fellen und schimmernden Stoffen. Irgendetwas glänzte immer an seinem verwachsenen Körper. Oft trug er eine Mütze auf dem Kopf, manchmal mit einer Bommel dran, niemals aber mit Schellen oder Glöckchen, mit denen Narren sich gerne aufputzten. Melôt war ein intrigant - dieses Wort hatte Brangaene von Tristan gelernt: Er schnüffelte anderen hinterher, um ihren Geheimnissen auf die Schliche zu kommen und sie später gegen sie ausspielen zu können. Zum Dank bekam er einen tip oder tumbler, einen münzpen oder ein Getränk, manchmal auch einen quiddle, den er bei Pferdewetten einsetzen konnte.
    Melôt, so viel wusste Brangaene inzwischen, ging es nur um eines: Wer gewann - gewann, ob auf schurkische oder ritterliche Art, das war ihm gleich. Nur der Gewinner triumphierte, darauf kam es an. Am Ende jeder Zwistigkeit wollte Melôt selbst einen profit in der Hand haben. Dabei waren Melôts Hände sehr klein. Das hinderte sie aber nicht, bisweilen einen Beutel voller Pfennige zu halten. Seine Hosen hatten viele Taschen, daraus zauberte er die eigenartigsten Dinge hervor: Hühnerfüße oder polierte Hirschzähne, manchmal auch eckige Armreifen oder runde Würfel, griechische Lorbeerkränze, geflochten aus stacheligen Blättern, oder kleine Fingerknöchelchen, die er als geweihte Heiligenreliquien den Leuten auf den Märkten aufschwatzte. Melôt kannte weder Ehrlichkeit noch Ehrbarkeit, weder religion noch veneration. Sein Reich war eine Zwischenwelt: der trügerische Schein des Spiels.
    Brangaene hatte das schnell erkannt. Deshalb mied sie seine Gegenwart. Sie selbst war ja nicht weit vom Betrügerischen entfernt, weil sie die Liebschaft zwischen Tristan und Isolde deckte. Und da sie wusste, dass der Zwerg es verstand, sich unsichtbar zu machen, war sie es gewesen, die einen neuen Ort gefunden hatte, an dem die beiden Liebenden sich treffen konnten, ohne dass Melôt, wie sie glaubte, dahinterkäme.
    Dieser Ort lag außerhalb der Burg in einem Hain, durch den ein Bach floss. Wenn die Sonne am Untergehen war, machte sich Isolde auf den Weg dorthin.
    Von Sträucherästchen spaltete sie die Rinde ab und warf sie in den Bach. Sie schwammen mit dem Wasser zu einer Stelle, an der Tristan wartete. In den Rindenstücken erkannte er die Botschaft, fischte die Teile aus dem Wasser und legte sie so zueinander, dass ein »T« und ein »I« zu lesen waren. Dann fanden sich Isolde und er unter einem großen Baum ein, an dessen Wurzeln sie sich hinbetten konnten. Brangaene wartete unterdessen auf ihre Herrin bei einem Hügel. Oft waren das bange Stunden gewesen, doch bislang war alles gut gegangen.
    Isolde und Tristan lagen beisammen, sie waren zwei und zugleich eins. Sie küssten und liebkosten sich, horchten in sich hinein und schlossen dabei die Augen. Nur selten waren sie unbekleidet, kein Sturm war in ihnen, keine rasende Begierde. Alles, was geschah, musste geschehen. Sie standen außerhalb jeder Schuld, kein Recht hätte sie mit seinem Bannstrahl treffen können. Außerhalb der Zeit waren sie ein jeder bei sich selbst und

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