Tristan
Platz für ein Lager gefunden wäre.
»Er ist nicht absonderlich - er ist närrisch. Was haben Frauen auf einer Jagd zu suchen?«
»Vielleicht will er gar kein Wild jagen!«, raunte Eardweard ihr zu. »Die Jagd soll nur ein Vorwand sein?« Helen lachte leise. »Das kann er auf seiner Burg einfacher haben.«
»Aber er will faire la chasse.«
» Wen denn, was denn? Wen will er erlegen?«
Eardweard wandte sich ab, gab weitere Anweisungen und lief zu einem der Pferde, an dem der Knecht die Last nicht richtig verzurrt hatte. Helen steckte die zinnernen Töpfe ineinander, die für die Feuer am Lager gebraucht wurden, sortierte die Löffel und furcillas, die man aus Körben auf den Tisch geschüttet hatte. Es war ein Geschrei, ein Rufen und Geklapper auf dem Hof, dass alle, die in der Nähe in ihren Hütten und Unterständen lagen, wach wurden.
Auch Tristan hörte den Lärm, der wie von Ferne und gedämpft in sein Schlafgemach drang. Gleich allen anderen glaubte er, dass etwas Ungewöhnliches im Gange sein müsse. Vielleicht waren die Sachsen der Burg tatsächlich schon viel näher gekommen, als man vermutete. Leise, um den schlafenden Truchsess nicht zu stören, zog er sich die Kleider über, steckte einen Dolch und ein kurzes Schwert an seinen Gürtel und schlich aus dem Zimmer. Da er ahnte, woher all die aufgeregten Stimmen kamen, ging er durch den Hauptflur, von dem die Gemächer der Königin und Markes abzweigten. Wie es das Schicksal wollte, öffnete sich, kaum dass er auf derselben Höhe war, die Tür zu Isoldes Kemenate. Brangaene trat heraus. Tristan war erleichtert, flüsterte ihr zu, auf dem Hof sei großes Getriebe. Brangaene sah ihn verständnislos an, da öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Marke trat heraus. Tristan erschrak, Brangaene wich sofort zurück, und Tristan und Marke standen sich allein auf dem von schwachen Lämpchen beschienenen Flur gegenüber.
»Was ist das für ein Lärm?«, fragte Tristan besorgt.
»Es wird zur Jagd geblasen«, fuhr Marke ihn unwirsch an. »Dass dabei Geräusch entsteht, das kennst du doch seit vielen Jahren. Aber noch nie zuvor bist du aus diesem Zimmer, das meinem gegenüberliegt und in dem jetzt die Königin schläft, getreten, um dich nach dem zu erkundigen, was draußen vor sich geht. Gib mir eine Erklärung dafür.«
Tristan schluckte, fasste sich und sagte ausweichend: »Melôt hat mich hierhergeschickt!« Es fiel ihm nichts Besseres ein.
»Melôt, der Zwerg - dich geschickt?!« Marke war erbost über Tristans Dreistigkeit. »Warum sollte ein Hofnarr einen Ritter zur Königin bestellen?«
»Das habe ich mich auch gefragt, kam aber her, stand vor der Tür, Brangaene trat heraus, wies mich ab, und so stehe ich vor dir wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen und an Land geworfen hat.«
»Wo ist Melôt?«
»Was weiß ich? Er sagte, er käme in deinem Auftrag. «
»Kein Wort davon ist wahr - doch ich glaube dir, weil ich Melôt noch weniger vertraue. Er besteht nur aus Narrheiten und Ränken.« Marke war uneins mit sich und reizbar und spürte nicht, wie verletzend es für Tristan sein musste, mit einem Zwerg verglichen zu werden. »Die Sonne wird bald aufgehen«, sagte der König. »Die Jagdgesellschaft hat sich eingefunden, es wird Zeit für mich.«
»Warum hast du mich nicht dazu eingeladen? Du weißt, welches Vergnügen mir…«
»Du bleibst auf der Burg, weil du der Einzige bist, auf den ich mich verlassen kann.«
»Der Truchsess …«
Marke winkte ab: »Der muss sich um anderes kümmern.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog sich der König in sein Zimmer zurück. Tristan stand unschlüssig im Flur, alle Türen schienen verschlossen, als sei nichts geschehen. Da wagte er es, nachdem er eine Weile in die plötzlich eingetretene Stille hineingehorcht hatte, leise an Isoldes Tür zu klopfen. Sie wurde zögernd geöffnet, er sah Brangaene.
»Was geht hier vor?«, flüsterte sie.
»Der König reitet zur Jagd und lässt mich zurück mit Marjodô und Melôt. - Ist Isolde schon auf?«
»Sie steht hinter mir, ich soll Euch sagen, wie sehr sie Euch liebt, aber sie darf Euch nicht sehen. Der Ausritt des Königs ist eine List.«
Brangaenes Sorge ~263~ Holzspane
Tristan hatte sich schon oft gefragt, was ohne Brangane aus Isolde und ihm geworden wäre. Die Zofe hatte sich zu einer liebreizenden Frau entwickelt, besaß nicht die Schönheit Isoldes, teilte aber mit ihr die Anmut der Zurückhaltung und war ihrer Herrin, ohne
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